Handlungsfeld Pfarrgemeinderat

Schriftrolle, Bibel, und Arbeitsblatt

Ein Erfahrungsbericht

Schritte für die Arbeit mit einer Schriftrolle im Kirchengemeinderat / Pfarrgemeinderat

Vor über 10 Jahren haben wir in unserem Kirchengemeinderat in Eislingen die ersten Versuche unternommen, mit Hilfe einer „pastoralen Schriftrolle“ (im Folgenden einfach Schriftrolle genannt) die Arbeit in unserem Gremium in einer erweiterten Perspektive anzugehen. Auslöser dafür war eine Klausurtagung, auf der wir erste Schritte mit der Schriftrolle gemacht haben. Daraus entstand die Idee, auszuprobieren, ob es möglich ist, die Schriftrolle weiterzuführen.

1. Schritt: Aufschreiben – Was war? Was hat dich oder andere bewegt?

Den sonst in kirchlichen Gremien üblichen „geistlichen Impuls“ zu Beginn haben wir durch den „Blick auf die Schriftrolle“ ersetzt. (Dahinter steht der Gedanke, dass der Geist Gottes uns seine Impulse gibt durch das, was konkret geschieht – in Ereignissen und Erfahrungen.) Dieser braucht etwas mehr Zeit, wir planen dafür in der Regel etwa 20 Minuten ein. Dafür können andere Tagesordnungspunkte, die z.B. den Rückblick auf Veranstaltungen und Ereignisse beinhalten, kürzer ausfallen.

Zunächst halten wir einfach Ereignisse fest, oft auch mit Datum und Ort. Wichtig ist jedoch, dass nicht nur sachlich aufgeschrieben wird: „Was war?“, sondern dass der Fokus immer auch darauf geht: „Was hat dieses oder jenes Ereignis in uns angerührt oder bewegt?“, oder: „Was haben wir bei anderen wahrgenommen?“. Dabei werden so weit wie möglich auch die damit verbundenen Emotionen und inneren Stimmungen aufgenommen und festgehalten.

Das wird auf der Schriftrolle in Stichworten oder kurzen Sätzen – manchmal auch mit kleinen Bildern, Skizzen, Symbolen angereichert – festgehalten. (Es kann praktisch von Vorteil sein, dass eine oder einer den Dienst des Schreibens übernimmt. So sind die anderen freier, einfach zu erzählen, ohne unter dem Druck zu stehen, vor den Augen aller etwas aufschreiben zu müssen.) So einfach ist das. Zunächst nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein kurzes Gebet mit der Bitte um den Geist Gottes kann das Aufschreiben eröffnen und abschließen. In den meisten Sitzungen ist nur dieser erste Schritt dran. Immer wieder – so füllt sich im Lauf der Zeit die Schriftrolle.

2. Schritt: Lesen – Entdecken – Markieren

Das Aufschreiben der Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen auf der Schriftrolle hat einen großen Vorteil. Im Unterschied zu einem rein mündlichen Austausch kann man es leicht wieder herholen, „noch einmal aufrollen“. Es verfliegt nicht einfach und kommt als Visualisierung denen, die darauf schauen, wieder entgegen. Das Aufschreiben auf die Schriftrolle ist kein Scheiben Zeile für Zeile, das das ganze Papier ausfüllt. Es ist immer noch Platz dazwischen. Nicht nur, dass es später noch ergänzt werden kann, sondern es bleibt Raum für Vertiefungen und für Deutungen. Es kann z.B. eine Verbindungsline zwischen mehreren Ereignissen, die miteinander zu tun haben, gezogen werden. Oder Ereignissen und Erfahrungen kann eine bestimmte Qualität zugesprochen werden. Dabei muss noch nicht gleich explizit von Gott gesprochen werden. Gott hat viele Namen. Manchmal zieht er es auch vor, anonym zu bleiben. Und doch gibt es  Kriterien, die nicht einfach beliebig oder rein subjektiv sind, sondern die mit großer Wahrscheinlichkeit auf „gottverdächtige“ Stellen hinweisen.

Dabei helfen Bilder und Symbole.

Die biblische Überlieferung gibt uns eine Reihe von Bildern und Bildworten. Hier kann exemplarisch die Emmausgeschichte genannt werden. Am Ende sagen die Jünger: „Brannte nicht unser Herz in uns?“ (Lk 24,32) Im Nachhinein wird für sie deutlich: Schon in diesen Momenten war der Auferstandene da. Auch wenn wir es noch nicht erkannt hatten, im Herzen haben wir es gespürt. Dort wo etwas im Herzen zündet, innerlich berührt oder begeistert, dort ist eine Spur, die zum Auferstandenen führt.

Ein weniger geläufiges, aber ebenso sprechendes biblisches Bild ist die „geöffnete Tür“. Die Apostelgeschichte und Paulus gebrauchen es immer wieder für Situationen, in denen sich – oftmals unerwartet – eine neue Möglichkeit auftut (Apg 14,27; Apg 16,9f; 2 Kor 2,12f). Dieses Bild ist für viele auf Anhieb einleuchtend. Gott führt uns, indem er Türen öffnet. Das regt an, bewusst nach diesen Ereignissen und Erfahrungen Ausschau zu halten. In ihnen können wir vermuten, dass Gott etwas Neues vorhat und damit in eine bestimmte Richtung weist.

Es gibt aber auch den Umkehrschluss: Dort wo nichts geht, dort ist wahrscheinlich – zumindest im Moment – nicht der richtige Ansatzpunkt. Die hier verschwendete Energie ist vergeblich. Gott führt auch durch Irritationen und Blockaden. In Apg 16,6 wird beschrieben, wie es Paulus trotz erster Erfolge auf einmal nicht mehr gelingt, in der Provinz Asien das Evangelium zu verkünden. Die Erklärung, die die Apostelgeschichte gibt, ist höchst erstaunlich: „Weil [es] ihnen vom Heiligen Geist verwehrt wurde…“ Der Geist blockiert manchmal Wege, um die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung zu lenken.

Wenn Jesus vom Reich Gottes spricht, gebraucht er auffallend viele Bilder aus der Natur und der Landwirtschaft. Dort wo neues Leben entsteht, dort wo Wachstum geschieht, dürfen wir eine Spur des Reiches Gottes vermuten. Die Anfänge sind oft verschwindend klein, wie ein Senfkorn (Mt 13,31; Mk 4,31; Lk 13,19). Der Mensch kann das Wachstum unterstützen, aber eigentlich ist es Gottes Werk (vgl. Mk 4,26-29).

Der Geist Gottes ist dort wirksam, wo Vereinzelung aufgebrochen und Gemeinschaft und lebendige Vernetzung entsteht. Ein weiteres Kriterium für eine Spur, die auf Gott und sein Handeln hindeutet. Der Geist schafft Einheit ohne die Originalität des einzelnen einzuebnen.

 

Diese Bilder und Symbole sind als Beispiele zu verstehen. Sie können durch andere ergänzt werden. Sie sind jedoch nicht beliebig. Sie müssen sich an der Offenbarung in der Heiligen Schrift messen lassen. Dann sind sie verlässliche Indikatoren für Gottes geheimnisvolles Handeln unter uns.

Ganz praktisch haben wir bei uns im Kirchengemeinderat erfahren, wie solche Bilder und Symbole uns helfen, die Dinge deutlicher zu sehen. Dazu legen wir, wenn wir uns einmal mehr Zeit nehmen, um die aufgeschriebenen Ereignisse und Erfahrungen zu reflektieren, ausgewählte Symbole als Karte oder Zettel genau an die Stellen auf unserer Schriftrolle, an denen wir diese Vorgänge entdecken. Ggf. kann der einzelne das auch noch präzisieren, indem er versucht, die Erfahrung ins Wort zu bringen (und auf die Karte zu schreiben). Wenn zum Beispiel zu einem Ereignis viele offene Türen oder brennende Herzen gelegt werden, dann lohnt es sich auf jeden Fall, da noch einmal genauer hinzuschauen. Das deutet stark darauf hin, dass Gott uns dadurch etwas sagen will. Wenn dann noch mehrere Ereignisse in die gleiche Richtung zeigen, dann wird ein roter Faden sichtbar: Dieser führt in die Zukunft.

3. Schritt: Deuten – Erkennen – Aufbrechen

Im Horizont der Bibel und des Glaubens

Auch bei diesem Schritt ist die Emmausgeschichte ein wichtiges Vorbild: Die konkreten Ereignisse und Erfahrungen bleiben nicht beliebige subjektive Vorgänge, sondern werden von Jesus in den großen Horizont der gesamten Heilsgeschichte gestellt: „Er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.“ (Lk 24,27) Auch dieser Schritt braucht mehr Zeit und erfolgt bei uns in der Regel, wenn mehr Zeit zur Verfügung steht – wie zum Beispiel an einem Klausurtag. Dann kann die Frage ins Spiel kommen: Wenn wir die Aufschriebe auf unserer Schriftrolle betrachten: Gibt es ein Wort, ein Bild, eine Geschichte aus der Bibel, die mir dazu kommt? Vielleicht ist es auch ein Gebet oder ein Lied oder etwas, was als tiefe Glaubensüberzeugung in mir lebt. Im Licht der Heiligen Schrift und des Glaubens der Kirche werden manche Erlebnisse noch klarer und bedeutsamer. Es kann sein, dass in einer unserer Erfahrungen etwas von einer bestimmten biblischen Erfahrung gegenwärtig wird. Die Worte, Geschichten, Bilder… aus der Heiligen Schrift können zu den jeweiligen Ereignissen geschrieben oder gelegt werden. So wird die wechselseitige Beziehung von unserer Geschichte mit der Heilsgeschichte sichtbar.

Gott hat seine Hand im Spiel

Ein starkes Bild der Heiligen Schrift ist die Hand Gottes oder der „Finger Gottes“. Er macht deutlich: Hier hat Gott seine Finger mit im Spiel gehabt. Dazu kann ein Bildausschnitt aus der christlichen Kunst oder eine entsprechend modellierte Hand helfen. Dies kann in meditativer Weise geschehen, indem alle eingeladen sind, diese Hand an die Stelle auf der Schriftrolle zu legen, an denen sie das Handeln Gottes verspüren. So wird sichtbar: Mitten in unserem Geschehen ist Gott am Handeln. Wir sind dem Geheimnis Gottes auf der Spur. Gott ist nicht einfach festzuhalten, darum wird die Hand wieder weggenommen. Und doch ist es sinnvoll, den Ort, den Tag, das Ereignis zu markieren (z.B. durch eine leuchtende um die Hand gezeichnete Umrisslinie). Wie Jakob, der den Stein mit Öl salbt, um sich zu erinnern: „Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Er ist nicht anderes das Haus Gottes und das Tor des Himmels.“ (Gen 28,17) Es ist die Erfahrung der Jünger an jenem Tisch von Emmaus: „Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn; und er entschwand ihren Blicken.“ (Lk 24,31) Der Auferstandene ist da – manchmal deutlich zu sehen, manchmal sehr verborgen.

Aufbrechen und konkrete Schritte gehen

Alle diese Erfahrungen dienen nicht einfach der frommen Erbauung. Sie sind Wegweisungen für die Zukunft. Aus der Arbeit mit der Schritrolle haben wir im Kirchengemeinderat schon sehr konkrete Schritte abgeleitet. Die Deutung dessen, was wir auf der Schriftrolle entdeckt haben, hat immer wieder einen roten Faden hervortreten lassen, der ein eine bestimmte Richtung weist. „Noch in der derselben Stunde brachen sie auf…“ (Lk 24,33) So heißt es von den Emmausjüngern. Wer den Auferstandenen so konkret erlebt, der kann nicht sitzen bleiben. Er macht sich auf den Weg und folgt den Zeichen, die der Auferstandene gibt. Schritt für Schritt.

 

Bernhard J. Schmid

 


Foto Schriftrolle: Bärbel Zeimantz
alle anderen Fotos: Katharina Pilz

 

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