25 Vertiefungstexte – Gestalten und Gestalter der Liebe

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25 Gestalten und Gestalter der Liebe – Schritt 25

Da Gott durch freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handelt, bleibt er einerseits unwirksam in Menschen, die nicht gestalten wollen. Andererseits wird sein Wirken verdrängt von menschlichem Aktionismus.

Gottes Liebe wurde in der Welt präsent und wirksam in Jesus Christus. Der Geist aber lässt Christus fortwirken, sich auswirken in Menschen, die sich von ihm ergreifen und inspirieren lassen. (1)

Gegen alles Gott- und Menschenfeindliche richtet sich ihr prophetischer Protest in Wort und Tat. (2) Dabei suchen sie das Böse durch das Gute zu überwinden. (vgl. 12, 21) (3)

Erfasst von der Macht der Liebe handeln Gottes Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Liebe, durch Liebe und für Liebe und sind dadurch frei. Sie machen die Geschichtspläne Gottes für ihre Zeit zu ihren eigenen. Sie werden kreative Gestalten der Liebe, die Strahlkraft entfalten und dadurch die Wirkung Christi und seines Geistes fortpflanzen. (4)

zu 1:

Kentenich:

Der „Vorsehungsglaube… überwindet in uns den Geschichtsaktivisten, der glaubt, ohne Gott der Geschichte einfach seinen Willen eigenmächtig aufzwingen zu können, sowie den Geschichtspassivisten, der bequem alles gehen und laufen läßt und anderen Kräften und Mächten die Beeinflussung und Gestaltung überläßt. Statt dessen macht er uns zu Geschichtsschöpfern, die sich den schöpferischen Weisheits-, Liebes- und Allmachtsplänen des ewigen Gottes und seinem Gestaltungswillen an- und eingliedern.“ (Vorsehungsglaube, 197)

„Geschichtsschöpfer, die vereinen sich mit dem Schöpfer der Welt, mit dem Gott des Lebens, lassen sich vom Gott des Lebens zeigen, sagen, wie und was nun am Platze (ist), was der lebendige Gott will, um sich dann dafür einzusetzen mit ihrer ganzen Kraft, daß Wirklichkeit wird, was nun im Plane Gottes ist.“ (Weihnachtstagung 1966, in: King, 229)

„Je schöpferischer eine Persönlichkeit in die Weltgeschichte eingreift, desto mehr ist sie selbst ein Produkt, ein Geschenk des verschwenderisch sich verschenkenden und schöpferisch wirkenden Gottes. Von ihm sind zunächst alle Faktoren weise vorgesehen und bestimmt, geordnet und zugewiesen, die fähig sind, die Persönlichkeit mitzuformen. Sie heißen: Bedürfnisse des Leibes und der Seele, Sehnsüchte des Herzens, Verhältnisse in Natur und Umgebung, in Gesellschaft und Zeitgeschichte, ererbte und erworbene Anlagen und Erlebnisse sowie Spannungen zwischen Natur und Gnade, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Natureroberung und persönlicher Begrenztheit. Man mag sie einzeln nehmen oder in ihrer Gesamtheit: sie sind in ihrer konkreten Form Ausfluß des bestimmenden, fügenden oder zulassenden göttlichen Willens. Sie sind alle im göttlichen Weltenplan vorgesehen und werden samt und sonders hingeordnet auf das festgelegte Ziel der göttlichen Weltregierung.“ (Oktoberbrief 1949, 32)

Stosch: Gott ist es, „der mit seiner Macht der Ohnmacht alle Mittel der Liebe in Bewegung setzt (Logos), um mich zum darstellenden Handeln seiner Gegenwart zu bewegen.“ (Gott – Macht, 393)

„Das Wirken Gottes im Erfülltsein von schlechthin antwortender Liebe ist ein uns ergreifendes und in Bewegung bringendes Beziehungsgeschehen, eine unser Leben verändernde Kraft (x), eben der innerste Antrieb und Anhauch der Liebe, der unser Herz ergreift (y), uns neu schafft und tröstend nahe ist.“ (Gott – Macht, 383)

(x) H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, 96: Rûaḥ  „ist das, was Dinge und Menschen, einzelne oder sogar ganze Gruppen, in Schwung, in Bewegung bringt. Dies kann sowohl äußerlich bzw. geographisch … als auch mehr innerlich im Sinne von Inspiration oder als Antrieb zum Handeln geschehen.“

(y) H. Vorgrimler, Überlegungen zur Geschichtsmächtigkeit Gottes, 132: „Jene geheimnisvolle geistige, bewusste Energie, die wir ‚Gott‘ nennen, ruft jeden einzelnen Menschen an, sucht ihren Willen zu bekunden, wirbt um Zustimmung. Dieser Anruf hat seinen Ort in jener Innerlichkeit des Menschen, die nicht nur Bewußtsein, sondern auch Gefühl, nicht nur Intellekt, sondern auch Willen ist und die in früheren Zeiten mit einem Wort bezeichnet wurde, das alle intellektuellen, volitiven und emotionalen Fähigkeiten des Menschen zusammenfasst, mit ’Herz‘. Zum Herzen des Menschen spricht Gott als dynamische Energie, und das wäre nicht möglich, wenn Gott selber außerhalb des Menschen bliebe.“

zu 2:

Bernhardt: Das göttliche Welthandeln darf nicht „in das optimistische Bild einer in der Geschichte souverän waltenden und sich verwirklichenden göttlichen Teleologie aufgelöst“ werden. (S. 402). Sein Wirken hat auch eine kritische Wirkung: „als >Aufsprengen< gott- und menschenfeindlicher Strukturen in individuellen Einstellungen, sozialen Regelsystemen, ökonomischen Verteilungen, politischer Partizipation usw.“ (S. 400f)
„>egozentrische(n) Selbsterhaltungs- und Selbstoptimierungstendenzen“, „partikulare(n), auf Selbstbehauptung ausgerichtete Zwecksetzungen“ und „Selbstabschließungsbestrebungen“ sind „Manifestationen des „>Gegengeistes<“ (S. 401) Die Macht der Liebe macht frei, „indem sie andere Bindungen >löst< und damit von ihnen >erlöst<.“ (S. 401)
Es lässt sich demnach „zwischen der kreativ-konservativen und der lösend-innovativen Wirksamkeit der Geistkraft Gottes unterscheiden.“ (S. 401)
„Dem Realismus der biblischen Überlieferung entspricht allein ein Konfliktmodell, das Gottes Geistkraft „in der spannungsreichen Auseinandersetzung mit geschöpflichen (von Gott geschaffenen) Kräften der Beharrung und Zerstörung wirken sieht. Die Gott-Welt-Relation ist als Beziehung von Kontinuität und Diskontinuität, Anknüpfung und Abwehr, Assimilation und Ausscheidung zu bestimmen“. (S. 402)
Dies erfordert den „prophetischen Protest(s), in dem sich der Widerspruch Gottes gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott artikuliert.“ (S. 402)

zu 3:

Kentenich hat als ein Handlungsprinzip: Wahrheiten und Werte, die vom Zeitgeist angegriffen werden, will Gott besonders betont haben.

zu 4:

Das „Repräsentationsmodell“ von Reinhold Bernhardt führt das Konzept der „Shapes of Freedom“ („Gestalten der Freiheit“) von Peter C. Hodgson weiter.
Ausgangspunkt von Hodgson ist „einerseits ein dezidierter Gottesbegriff: Gott ist >the One who loves in freedom>. .., denn Gott offenbart sich selbst durch seine operative Gegenwart in der Welt als dieser in einzigartiger Weise frei Liebende, wo dieses Liebeswirken Gestalt gewinnt – d.h.: wo Geschöpfe in der Begegnung mit anderen Geschöpfen Gottes wirkenden Geist erfahren und er in ihrer Beziehung zueinander Ausdruck gewinnt und sichtbar gegenwärtig wird. … Nach Hodgson offenbart alles Agieren Gottes diesen als den, der er ist – allerdings in den unterschiedlich intensiven Graden, in denen Geschöpfe auf sein freies Liebeswirken reagieren und die an der Gestaltwerdung des Gottesgeistes in Jesus Christus messbar sind.“ (Büchner S. 369)

Das „Repräsentationsmodell“ von Reinhold Bernhardt versteht Gottes Wirken in der Welt als „Wirkung einer überpersonalen Macht“ bzw. als „operative Präsenz, die sich als Ausstrahlung des göttlichen Wesens ereignet, per Partizipation aufgenommen wird, sich in Repräsentationen dieses Wesens manifestiert und durch Radiation weiterwirkt“. (S. 399)

Wo in Menschen, die erfüllt sind von der Macht der Liebe, „diese Liebe als Ausfluss des Wesens Gottes, das Liebe ist, zur Wirkung kommt, wird sie sich in ‚Gestalten der Liebe‘ vergegenwärtigen, die Strahlkraft entfalten und dadurch die Wirkung fortpflanzen.“ „Sie bilden Keimzellen des Reiches Gottes, die dessen Verwirklichung entgegenstreben und dabei selbst wirkmächtige Repräsentationen des Gottesgeistes erzeugen.“ (S. 399) Dabei vollzieht sich „die Vergegenwärtigung des von Gott für die Menschen und die Welt >Vorgesehenen<“, die Gestaltwerdung der Gegenwart Gottes.“ (S. 404)

Der präsent werdende Geist wirkt durch „Inspiration“ (S. 401) mit der „Macht der Schwachheit“. (S. 400)

Bernhardt stellt die Liebe im „Modell eines Kraftfeldes“ vor „in Metaphern überpersonaler, geistiger Kraftwirkungen: als >umfangen und durchdringen<, >Lebenskraft geben und stärken<, >Orientierung und Sinn erschließen<, >Vorstellungskraft beflügeln< usw.“ (S. 400). Die Wirksamkeit Gottes kann wahrgenommen werden „als Kreation von heilshaften und schöpferischen Sinnzusammenhängen … in individuellen Lebensentwürfen, sozialen Strukturen und geschichtlichen Ereignisabfolgen.“ (S. 401)

„Gott wirkt als kreatives, versöhnendes und den Kosmos vollendendes Kraftzentrum durch das von ihm ausgehende Kraftfeld des Lebens.“ (S. 401)
„Wirksam wird die transformierende, kreative und innovative Kraft Gottes durch den Geist. Er ist nicht Subjekt, sondern Ausführer (>effector<) der wirksamen Gegenwart Gottes; er bringt sie zur Wirkung, indem er effektive Kraftfelder erzeugt, die der Eigendynamik der weltlichen Wirklichkeit entgegenwirken, um sie in Richtung auf das von Gott >Vorgesehene< zu transformieren.“

„Als wesenhaft geistige Wirksamkeit verwirklicht sie (erg. die Kraft Gottes) sich in und durch die materiellen Kräfte der Schöpfung – auch wo sie ihnen entgegenwirkt. Sie verwirklicht deren Potenz nicht nur, sie entwirklicht sie auch, sie konstituiert und destruiert, affirmiert und kritisiert, um gerade so das Vollendungsziel zu erreichen.“ (S. 454)

Christoph Böttigheimer schießt sich Bernhardt an. Nach Böttigheimer ist „von einer Interaktion Gottes mit dem Menschen auszugehen, bei der sich der Mensch von Gottes Geist und Liebe ergriffen weiß und sich ganz bewusst in den Dienst des göttlichen Willens stellen lässt“ (S.188), wo er sich „von der göttlichen Liebe inspirieren lässt, an ihr Anteil gewinnt und die Intention des göttlichen Heilswillens in seinem Handeln Gestalt annimmt.“ (S. 192)
„Die Liebe des trinitarischen Gottes konkretisiert und verschenkt sich in seinem Geist und ereignet sich geschichtlich konkret in Jesus Christus.“ (S. 189)

Bernhard:  Er ist die Urgestalt der Liebe Gottes. Der Geist aber lässt Christus fortwirken, sich auswirken in Menschen, die sich von ihm ergreifen, inspirieren lassen. Wo diese das Angebot göttlicher Liebe freiwillig ergreifen, kann Gott zusammen mit ihnen geschichtswirksam in der Welt handeln. Der Geist vergegenwärtigt sich in „Gestalten der Liebe“, „die Strahlkraft entfalten und dadurch die Wirkung fortpflanzen“. (Bernhard, 399) „Der von der Macht der Liebe Erfasste“ handelt >in der Liebe< und >aus Liebe<“ und dadurch frei. (Bernhard, 401)

 


Literatur:

Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999
Böttigheimer, Christoph: Wie handelt Gott in der Welt? Reflexionen im Spannungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft. Freiburg / Basel / Wien 2013
Büchner, Christine: Wie kann Gott in der Welt wirken? Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens. Freiburg / Basel / Wien 2010
Kentenich, Josef: Oktoberbrief 1949. Vallendar-Schönstatt 1970.
Kentenich,
Josef: Vorsehungsglaube. Turowskibriefe 1952/1953, Studien Band IT, hrsg. von Heinrich Hug, als Manuskript gedruckt, Vallendar-Schönstatt 1999
King, Herbert, Gott des Lebens (Joseph Kentenich – Ein Durchblick in Texten, Nr. 7), Vallendar-Schönstatt 2010.
von Stosch, Klaus: Gott – Macht – Geschichte. Versuch einer theodizeesensiblen Rede vom Handeln Gottes in der Welt. Freiburg / Basel / Wien 2006
Schüngel-Straumann, Helen, Rûaḥ bewegt die Welt: Gottes schöpferische Lebenskraft in der Krisenzeit des Exils (Stuttgarter Bibelstudien) (German Edition) (Deutsch), Stuttgart 1991

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