Virus – Sprachrohr Gottes

„Was will uns das Virus sagen?“, fragt Edo Reents in der FAZ (10. 12. 2020, S. 13) Aber da ein Virus nicht spricht, tut das „der Weltgeist oder wer immer das Geschehen steuert“? Ist es ein „Zeichen“, „ausgesandt“ vom „Ökosystem“?

Gott spricht nicht so, dass er gleichsam seinen Kommentar zum Geschehen gibt. Das Geschehen selbst ist die Stimme, mit der er zu uns spricht. Genauer: In den dramatischen Wechselwirkungen zwischen den Geschehnissen und dem, was sie in uns auslösen und wie sie unser Leben schicksalhaft verändern, ist Gott am Wirken. Im Hinhören des Herzens darauf wird Gottes Stimme vernehmbar.

Was Theologen und Kirchenmenschen vehement ablehnen – die Pandemie als Strafe Gottes -, dem geht Reents dennoch nach. Wenn sie keine Strafe für persönliche Schuld ist, vielleicht (im Anschluss an Susan Sontag) ein „Urteil über eine ganze Gemeinschaft“? Denn diese „Pandemie lebt nur von unserem Verhalten“ (so Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts). Also doch „so etwas wie Schuld“ durch die „für den Planeten immer ruinöser werdende Lebensweise“ oder zumindest durch „Versäumnisse“?

Wie Gottes Sprechen kein von außen abgegebener Kommentar ist, so ist – biblisch gesehen – das Strafen keine von Gott von außen verhängte Sanktion. Gott hat in die Schöpfung selber den >Tun-Ergehen-Zusammenhang< hineingelegt. Jeder Handwerker weiß, wie er mit dem jeweiligen Material dessen Gesetzmäßigkeiten entsprechend umgehen muss, damit es nicht bricht. Nur wenn wir lernen, wie die Erde in ihren sensiblen Komplexitäten zu bemeistern ist, wird sie uns nicht zum Schaden werden; denn wir sind Teil ihres Organismus. Die Strafe Gottes besteht in unserem unvernünftigen Uns-selber-Strafen. (vgl. Exkurs: Corona – doch eine Strafe Gottes?) Sie trägt in sich die Botschaft: „‘Du musst nur die Laufrichtung ändern.‘ (Kafka)“

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Einsichten und Imperative sind noch keine Verhaltensänderung. Eine solche wird nur bewirkt durch Einübung über längere Zeit. Vorausgesetzt, ich sehe einen Sinn darin und tue es freiwillig. Genau das hat der bewirkt, „der die Völker erzieht und die Menschen Erkenntnis lehrt“ (Ps 94, 10). Durch die Pandemie wurden einschneidende Regeln eingeführt. Die meisten Menschen halten sie für sinnvoll und beachten sie. So wurden wir über Monate zu einem freiwilligen Lernprozess in eine andere Lebensweise geführt. An uns liegt es, das als sinn- und wertvoll Erfahrene zu verinnerlichen, in Freiheit, und beizubehalten, auch wenn es nicht mehr verpflichtend ist.

Die durch die Pandemie erforderten Verhaltensänderungen waren nur ein Vorspiel, eine Einübung in die ungleich radikaleren Änderungen, die das Abwenden eines katastrophalen Klimakollapses von der Menschheit erfordert. Ein „umfassender Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft“ ist notwendig. „Grundlage dafür ist ein tiefer greifender Kultur- und Wertewandel, der zukunfts- und gemeinwohlorientiertes Handeln stärkt und sich in entsprechend verändertem Verhalten niederschlägt.“ (Johannes Wallacher in: Herder Korrespondenz spezial, Verlorenes Paradies, S. 38)

Die Pandemie schenkte uns die Erfahrung, dass einerseits ein globales Zusammenwirken aller nötig und möglich ist, andererseits jeder einzelne persönlich mit seinem Beitrag (wie das Masken Tragen und Abstand Halten usw.) wesentlich zum Gelingen beiträgt.

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Einige dieser Chancen zur Verhaltensänderung, beispielhaft und konkret:

Umstellung zu einer ökologisch verantwortbaren Wirtschaft. Die Einsicht ist da. Zum UN-Klimagipfel (12. 12. 2020) sagte UN-Generalsekretär Guterres, der Aufbau nach der Corona-Pandemie biete eine Gelegenheit, Wirtschaft und Gesellschaft auf einen “grünen Weg” zu führen. Bislang sei das nicht der Fall. Die großen 20 Industrienationen steckten über ihre Rettungspakete zu viel Geld in fossile Brennstoffe.

An Einsicht und großen Worten fehlte es nicht, dass der Impfstoff günstig oder kostenlos den am meisten gefährdeten armen Ländern zur Verfügung gestellt werden müsse. Die Pandemie hat uns gelehrt, auf die Gefährdeten besondere Rücksicht zu nehmen. Werden die Preise von den Pharmafirmen so gestaltet, dass man mit dem Kauf eines Impfstoffes einen zweiten mitfinanziert für Menschen, die ihn sich nicht leisten können? Oder mit den Millionen, die die reichen Länder gerade dafür ausgeben, dieselbe Menge armen Ländern zur Verfügung stellt?

Gott gibt keine neuen Gebote für die Pandemiezeit. Das aus Verantwortung und Menschlichkeit Gebotene ist sein Gebot.

Wissenschaftler haben berechnet/geschätzt, wie viele Corona-Viren auf der ganzen Welt ihr Unwesen treiben, und wie viel diese insgesamt wiegen. Ergebnis: weniger als 2 Gramm! Und diese Winzigkeit bringt die ganze Welt durcheinander. Eine tiefe Demütigung für den durch Wissenschaft und Technik die Welt vermeintlich beherrschenden Menschen! Wandeln wir die Demütigung in Demut um!

Dem alles-Erklären-, alles Planen-, alles Machen-, alles Kontrollierenkönnen sind Grenzen gesetzt. Wir können die Welt und ihren Lauf mitgestalten; in der Hand haben wir sie nicht.

Und für jeden persönlich:

Werde ich weiterhin den Einsamen, Hilfsbedürftigen Priorität einräumen? Mir Zeit für die mir Nahestehenden nehmen?

Das Tempo unserer Arbeits- und Lebensabläufe wurde heruntergefahren. Werde ich bei einem menschlichen Lebensrhythmus bleiben?

Habe ich für mein Planen die Einsicht verinnerlicht, dass wir die Zukunft nur provisorisch vorab festlegen können, da sie nicht uns, sondern Gott gehört. Dass die Dinge anders kommen können, als wir dachten? Oder mit den Worten des Jakobusbriefes: „Ihr aber, die ihr sagt: Heute oder morgen werden wir in diese oder jene Stadt reisen, dort werden wir ein Jahr bleiben, Handel treiben und Gewinne machen -ihr wisst doch nicht, was morgen mit eurem Leben sein wird. Rauch seid ihr, den man eine Weile sieht; dann verschwindet er. Ihr solltet lieber sagen: Wenn der Herr will, werden wir noch leben und dies oder jenes tun.“ (4, 13 ff)

Werden wir die tiefere Wahrheit unseres Seins nicht wieder vergessen, welch zerbrechliche Wesen wir sind? Werden wir unser Sein zum Tode nicht verdrängen? Werden wir die Konsequenz ziehen aus der Realität, dass „die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1Kor 7,31), also auch die gegenwärtig sich auflösende Gestalt der Kirche? Und werden wir mit der vom Heiligen Geist geschenkten Kreativität mitwirken an einer neuen Kirchengestalt?

Kurt Faulhaber


Foto: pixabay.com

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