Die Schriftrolle im Religionsunterricht
Katharina Pilz
ist Gemeindereferentin in der kath. Kirchengemeinde St. Markus-Liebfrauen in Eislingen und gibt Religionsunterricht an der Friedrich-Schiller-Gemeinschaftsschule.
Noch bevor ich meine Stelle in Eislingen im Herbst 2015 begann, habe ich schon von einigen begeistert gehört: „In Eislingen, da gibt’s doch eine Schriftrolle!“ Sehr schnell habe ich dann im Kirchengemeinderat an dieser Idee Feuer gefangen, denn ich habe hautnah erleben dürfen, was es heißt, geistliche Prozesse zu durchleben. Es geht nicht nur um Zahlen, Organisation und Absprachen, sondern es geht um das Leben vor Ort. Ganz schlicht wurde aufgeschrieben, was uns bewegt hat und im nächsten Schritt haben wir darin Gottes Hinweise für unser Arbeiten und Leben gesucht und gefunden.
Dieser so greifbare Prozess, dass Gott auch heute noch mit uns Geschichte schreibt hat mich dazu inspiriert, die Schriftrolle auch im Religionsunterricht in der Schule einzusetzen. Damit genau das – in Ansätzen – erfahrbar und sichtbar wird: Gottes Wirken hörte nicht vor 2000 Jahren auf, sondern ist heute DA für uns!
Grundsituation Schule – Grundschule und Orientierungsstufe
„Wieso müssen wir das können? Die Bibel ist doch nur was für Pfarrer und Menschen wie Sie!“ Diese Aussage einer Schülerin im Religionsunterricht hat mich sehr zum Nachdenken gebracht und mich spüren lassen, dass dieses Buch für Schülerinnen und Schüler von heute eher ein fremder und unbekannter Gegenstand ist. Da hat mich die Frage gepackt: wie kann ich Schülerinnen und Schüler von heute eine Begegnung mit der Botschaft der Bibel ermöglichen, damit dieses Buch auch für sie einer Botschaft fürs eigene Leben werden kann. Der Kreativität und der Methodenvielfalt ist beim Einsatz keine Grenzen gesetzt.
In der Bibeldidaktik wird heute mit dem dialogisch-kommunikativen Ansatz gearbeitet, d.h. das Ziel ist es, die Bibel als Buch der Erfahrungen neu zu verstehen und zu begreifen. Die Glaubenserfahrungen der Geschichte bedürfen einer Korrelation mit und Entschlüsselung für das eigene menschliche Leben. Es geht dabei um berührende Herz-zu-Herz-Begegnungen, die auf der Ebene der Emotionen, des sozialen Gefüges und des kreativen Handelns wirken und nicht kognitiv im Kopf stecken bleiben.
Praxisbeispiele
Klasse 5
In Klasse 5 steht die Auseinandersetzung mit der Entstehung und dem Aufbau der Bibel auf dem Programm. Mit dem Titel „Die Bibel – (k)ein verstaubtes Buch?!“ für die gesamte Lernsequenz war es mir ein Anliegen, dieser Frage nachzuspüren und herauszuarbeiten, dass die Bibel eben kein verstaubtes Buch ist, sondern bis heute Aktualität besitzt und eine ganz persönliche Botschaft für jeden einzelnen hat.
Beispiel 1:
Die Schülerinnen und Schüler ziehen Zettel mit Bibelstellen und bearbeiten folgende Aufgaben:
- Schlage die Stelle in der Bibel auf!
- Lese den Text!
- Schreibe die Botschaft Gottes an dich auf!
Schreibe dabei aus der Sicht Gottes und beginne deinen Satz mit:
„Gott spricht: …!“ - Suche ein passendes Bild und gestalte deine Botschaft schön!
Je nach Lernniveau konnte die Aufgabe der Situation angepasst werden: dem Aufschlagen und Finden einer Bibelstelle oder dem Umformulieren zu einer Ich-Aussage von Gott.
So wird beispielsweise aus Ps 91,4 „Gott spricht: Ich beschirme dich mit meinen Flügeln, unter meinen Schwingen findest du Zuflucht“ oder aus Ps 145,8: „Gott spricht: Ich bin gnädig und barmherzig!“.
Zur Vertiefung können Herzen und Steine an die Schülerinnen und Schüler verteilt werden, die sie hinzulegen: Ein Herz für „Das habe ich das einmal erlebt!“ oder ein Stein für „Das fällt mir schwer zu spüren!“. Je nach Zeit und Können wurde dies dann auch einzeln begründet.
Das Beschreiben, warum sie das Herz und den Stein genau an diesen Text gelegt haben, war für einige Schülerinnen und Schülern nicht leicht. Der Übertrag vom biblischen Wort in die eigene Lebensrealität war zu groß. So entstand eine Variante, die im Beispiel 2 erklärt wird.
Beispiel 2:
In einer kleinen Phantasiereise wurden die Schülerinnen und Schüler eingeladen, sich an wichtige Situationen und Gefühle der vergangenen Wochen zu erinnern und sie mit Legematerial zu gestalten.
Als nächstes schauten sie die Gottes-Zusagen aus Altem und Neuem Testament (Beispiel 1) an, die bereits auf der Schriftrolle sind und wählten eine Bibelstelle aus, die zu ihrem gestalteten Bild passt.
Anschließend sind wir gemeinsam als Klasse von Bild zu Bild gegangen und der Künstler / die Künstlerin selbst hat uns erklärt, warum sie / er sich für diesen passenden Vers entschieden hat.
Was beim Beispiel 1 ein Problem war, war nun viel leichter: Die Schülerinnen und Schülern konnten erklären, warum der biblische Vers zu ihrem Bild passt. Und plötzlich hatte die Zusage Gottes einen Bezug zum ihrem eigenen Leben.
Klasse 3
Mit den Schülerinnen und Schülern der Klasse 3 habe ich nach den Osterferien einen Rückblick auf die Kar- und Ostertage im Gesamten gemacht.
Mit folgenden vier Arbeitsschritten:
- Inhaltliches Wiederholen der biblischen Geschichte
– Anhand von Gegenständen wird mit den Schülerinnen und Schülern die biblische Geschichte wiederholt.
– Der Weg wird auf die Schriftrolle geschrieben und gemalt. Durch Zusammenstellen von Tischen und einem langen Ausrollen der Schriftrolle können alle gleichzeitig daran arbeiten. - Was hat Jesus damals erlebt?
Die Schülerinnen und Schüler ordnen Zettel mit Gefühlen den einzelnen Momenten zu und erklären, warum sie diesen dort verankern würden: „Jesus ist traurig, weil …“ - Persönliche Auseinandersetzung:
Wann habe ich schon mal Freude, Angst, … erlebt und was hat das in mir ausgelöst? An welche Situation erinnere ich mich? Diese Erfahrungen haben die Schülerinnen und Schüler beim entsprechenden Gefühl aufgeschrieben. - „Ich gehe mit!“
Im letzten Schritt haben die Schülerinnen und Schüler ein Zeichen der Verbundenheit zu Jesus auf die Schriftrolle gesetzt. Sie haben mit der geballten Faust und einem Stempelkissen einen Fußabdruck gemacht und damit ausgedrückt: „Ich gehe mit Jesus – hier in diesem Moment!“
Dieser Rückblick auf die Kar- und Ostertage war eine Herausforderung, denn mit 16 Drittklässlern gleichzeitig an einer Schriftrolle zu arbeiten, erfordert viel Disziplin und Ruhe. Doch es war eine kreative Form durch Malen, Gestalten, Empathie und Gespräch mit dem letzten Weg Jesu umzugehen.
Ein großer positiver Aspekt war, dass 13 der 16 Schülerinnen und Schüler sich in der Gemeinde gleichzeitig auch auf ihr Fest der Erstkommunion vorbereiteten und durch die Teilnahme an den Gottesdiensten einen großen Erfahrungsschatz mitbrachten.
Schritt 3 und 4 haben mir eines nochmal verdeutlicht: jede und jeder erlebt ein Gefühl besonders, jede und jeder geht seinen Weg mit Gott ganz allein und doch auch immer in Gemeinschaft. Das zeigen die vielen Fußabdrücke auf der Schriftrolle.
Gottes Zusage an uns
Der Einsatz der Schriftrolle im Religionsunterricht hat mir eines deutlich gemacht. In der Gemeinschaftsschule, in der ich unterrichte, ist es wichtig, für Schülerinnen und Schüler einen Raum zu öffnen, in denen sie als Mensch mit ihren Emotionen und Wahrnehmungen des Lebens in erster Linie „Da-sein“ dürfen. Da plagen die Schwierigkeiten im Unterricht, die Auseinandersetzungen mit Familie und mit Mitschülern und Mitschülerinnen. Oder es schwirren ablenkende Gedanken durch die Köpfe, die Konzentration abziehen.
Wenn sie in diesen kleinen Momenten erfahren dürfen, dass jemand Da ist und spricht: „Ich breite meine schützenden Flügel aus über Dir!“ (Ps 91,4) oder sagt: „Ich führe dich durchs finstere Tal!“ (Ps 23,4), dann wird darin Gottes Zuwendung und Nähe deutlich und ein kleiner Funke an Hoffnung kann ganz tief fallen.
Fotos: Kinder – pixabay.com
Schriftrollen – Katharina Pilz