Handlungsfeld Jugendarbeit

Die Schriftrolle im Zeltlager

Klaus Alender
56 Jahre, leitender Pfarrer der Gesamtkirchengemeinde Ostfildern bei Stuttgart, Ausbildung in KSA Psychiatrie, Geistliche Begleitung und Exerzitienbegleitung (IMS)

Im Sommer 2017 begann ich in einem Zeltlager, mit der pastoralen Schriftrolle zu arbeiten. Dabei machte ich die Erfahrung, dass sich sowohl die Atmosphäre im Zusammenleben positiv veränderte, als auch die religiöse Dimension der Arbeit eine neue Tiefe gewann. Bei den mehr oder weniger religiös und kirchlich sozialisierten Jugendlichen entstand eine neue Offenheit für ein spirituelles Miteinander.

 

Mit rund 40 11-15-jährigen Jungs sowie 20 Betreuern zwischen 16 und ca. 20 Jahren starteten wir im Sommer 2017 unser Zeltlager im Schwarzwald. Es war eine bunte Gruppe, wie sie wohl auch in den meisten Gemeinden zusammenkommt: ganz „normale Durchschnittsjugendliche“, die nicht gewohnt sind, sonntags in die Kirche zu gehen, die bei Zeltlager-Gottesdiensten fragen, wie lange sie wohl noch dauern und ob so viele wirklich notwendig seien. Es sind also keine „frommen“ Jugendliche, die aber dennoch offen sind und „etwas von Gott spüren“ wollen.

Die Abendliche Reflexionrunde

Zwischen Abendessen und Abendprogramm fand täglich zur Reflexion des Tages eine Leiterrunde statt, in der ich die pastorale Schriftrolle einführte.
Am ersten Abend fand eine Runde statt, in der wir einander von den Wochen vor dem Zeltlager erzählten. Ich erklärte, ich habe eine Schriftrolle mitgebracht, damit keine der Erfahrungen dieser Tage verloren gehen könne.

Jeder berichtete von seinen Motivationen, warum er am Zeltlager teilnimmt, woher er kommt, was er tut, auch einmal, wie es der Freundin geht. Nach dem jeweiligen Bericht wurden die wichtigsten Punkte auf die Schriftrolle aufgeschrieben.

An den folgenden Abenden reflektierten wir über den jeweiligen Tag.

  • Zu Beginn jeder Runde gab ich einen kurzen Impuls, der die Jugendlichen zusammenführen sollte. Dabei kam immer wieder auch der Aspekt zur Sprache, dass uns Gott durch den Tag begleitet und seine Spuren in unserer Mitte hinterlässt.
  • Es folgte die Einladung zu einer Stille. Eine Kerze wurde entzündet. Während draußen auf dem Lagerplatz die Kinder und Jugendlichen lautstark spielten, gelang es tatsächlich, die Leiter zu sammeln und eine geistliche Atmosphäre zu ermöglichen.
  • Reihum berichteten nun die Leiter, was sie erlebt hatten, was sie erfreute, bedrückte, überraschte, wo sie sich herausgefordert oder auch einmal überfordert fühlten. „Was bewegte mein Herz?“ war die entscheidende Frage.
  • Im Anschluss an jeden Bericht – so war die Vereinbarung – schrieb ich in Stichworten die Erfahrungen auf die Schriftrolle, allerdings zur Wahrung der Diskretion nur das, was die Jugendlichen aufgeschrieben haben wollten.
  • Es stellte sich sehr schnell heraus, dass die Berichte am einfachsten reihum gingen. Dann mussten sich die Jugendlichen nicht immer wieder neu entscheiden, wer nun dran war.
  • Jeder konnte sich so viel Zeit nehmen, wie er zum Berichten benötigte. Darum dauerte diese Runde manchmal überraschend lange. Dafür stand eine Gaslaterne bereit. Schließlich wollten wir noch die Gesichter der anderen sehen.
  • Wenn ich einmal in der Leiterrunde nicht anwesend sein konnte, übernahmen die Jugendlichen ganz selbstverständlich die Leitung der Gruppe und hielten sich an die eingeführten Schritte der Gestaltung.
  • Tagsüber lag die Schriftrolle aufgerollt in der „Zeltlager-Kirche“, einem eigens von der Gesamtlagergemeinschaft gestalteten „Haus“ aus Holzstämmen und Tüchern.

In Abständen von ca. drei Tagen gab es eine Zwischenreflexion, in der sich die Schriftrolle in besonderer Weise bewährte. Mit Bundstiften wurde rückblickend besondere Ereignisse der Tage hervorgehoben und qualifiziert.

Nachbereitung

Nach dem Zeltlager gab es einen Tag der Nachbereitung. Die Schriftrolle nahm den zentralen Platz ein. Dabei gab es eine überraschende Erfahrung: Während sonst bei diesen Nachbesprechungen die Zeltlager so „zerpflückt“ wurden, dass kaum mehr Gutes übrigzubleiben schien, wurde nun ein fast liebevoller Umgang mit den Erfahrungen deutlich. Zwar wurde nicht an berechtigter Kritik gespart, doch wurden die positiven Aspekte groß gesehen und entsprechend betont. So war es auch selbstverständlich, dass die Schriftrolle beim Abschlussgottesdienst ihren Platz auf dem Altar fand. Ebenso selbstverständlich war, dass die Schriftrolle aufbewahrt wurde. Sie sollte bei der Vorbereitung des nächsten Zeltlagers als Grundlage dienen.

Hier einige zusammenfassende Aspekte:

  • Die Arbeit mit der Schriftrolle setzt am Leben der Jugendlichen an. Die Frage ist nicht zuerst: Wo habe ich heute Gott erfahren? Vielmehr: Was habe ich heute erlebt? Darüber kann jeder sprechen. Und dennoch werden diese Erfahrungen durch die entsprechende Hinführung und Atmosphäre in einen geistlichen Zusammenhang gestellt.
  • Die Schriftrolle lässt keine Erfahrung verlieren. Der gemeinsame Weg durch die Tage und darüber hinaus bleibt erhalten und sichtbar. Damit wird ein gemeinsamer Weg sichtbar – auch ein gemeinsamer Weg mit Gott.
  • Das bedeutet spirituelle Arbeit und geistliches Miteinander in einem ganzheitlichen und nachhaltigen Sinn. Leben und Glaube sind organisch miteinander verknüpft. Und das geschieht nicht nur für einen Augenblick, sondern prägt das Lebensgefühl.
  • Dass die Jugendlichen nach dem Zeltlager öfter in den Gottesdienst gehen, vermute ich eher nicht. Doch ist eine authentische Brücke zwischen dem alltäglichen Leben und dem Glauben geschlagen, was die Grundlage für weitere Schritte im Glauben sein kann.

 


Foto: Marc Tollas und S. Hofschlaeger – pixelio.de

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