Handlungsfeld Besinnungstage

Die Schriftrolle bei Besinnungstagen

Hubertus Brantzen
Dr. theol. habil.,  Professor em. für Pastoraltheologie Mainz, im Team der Pastoral am Puls.

Bei Besinnungstagen habe ich die einzelnen Teilnehmer angeregt, eine persönliche Schriftrolle zu entwickeln oder weiterzuführen. Wie in einem Tagebuch werden kleine und große Schritte des geistlichen Wachstums festgehalten. Hinzu kommt bei einer persönlichen Schriftrolle, dass der Einzelne den Prozess des Wachstums besser verfolgen kann. Er kann übersichtlich inhaltliche Linien nachziehen und dafür danken, wie sich Gottes Geist in der eigenen Seele Bahn bricht.
Bei gemeinsamen Gesprächseinheiten aller Teilnehmer kann zusätzlich auch eine gemeinsame Schriftrolle verwendet werden, auf der, soweit das möglich und erwünscht ist, zum Beispiel Ergebnisse und Überlegungen der Einzelnen zusammengetragen werden. Die gemeinsame Schriftrolle stärkt das Bewusstsein der Gruppe: Gott geht mit uns durch die Tage und zeigt uns, wie wir miteinander und aneinander wachsen können, auch im Glauben.

Vorhergehende Absprachen

Es ist ratsam, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der gemeinsamen Tage zuvor abzusprechen, ob Schriftrollen verwandt werden sollen. Dabei ist es wichtig zu verdeutlichen, dass es dabei nicht einfach um Arbeitsmaterial oder ein gewöhnliches Medium geht, sondern um die Vorstellung: In den spirituell dichten Tagen können wir die Spuren Gottes deutlicher entdecken, die er in unser Lebens einschreibt. Wir nehmen uns mehr Zeit, diese Spuren zu suchen und zu entdecken.

Sind vorherige Absprachen nicht möglich, kann zu Beginn der Tage die Erstellung einer persönlichen oder/und gemeinsamen Schriftrolle angeboten werden.

Bei einer positiven Entscheidung sind folgende Vorbereitungen notwendig:

  • Eine breite Papierrolle für die gemeinsame Schriftrolle der Gruppe und Filzstifte bereitlegen.
  • Eine schmale Papierrolle oder weiße DIN A4-Blätter, die aneinander geklebt werden können, für persönliche Schriftrollen der Teilnehmenden bereitlegen.
  • Kleine runde Stockteile besorgen, an denen die Papierrolle aufgerollt werden kann.
  • Aus dem Pool der Symbolvorlagen (Teil VI – Materialteil, z.B. Aufkleber) die auswählen, die geeignet erscheinen, und in entsprechender Zahl kopieren.

Einführung in die persönliche Schriftrolle

1. Schritt:

In der Eröffnungsrunde wird in einem Impuls Sinn und Aufgabe der persönlichen Schriftrolle erläutert.
Dabei kann der Impulsgeber selbst seine persönliche Schriftrolle als Beispiel erläutern. Das motiviert die TN bei weitem am meisten. Es wird klar: Glauben und Glaubenswege entzünden sich am gelebten Glauben und an gegangenen Glaubenswegen. Ist das nicht möglich, kann eine leere Rolle als Anschauungsmaterial mitgebracht werden.

Impuls:

Wenn wir uns zu Besinnungstagen anmelden, geht es wesentlich darum, die Spuren Gottes im eigenen Leben deutlicher zu erkennen. Im Alltagleben möchten wir zwar in der grundsätzlichen Überzeugung leben: Gott begleitet mich. Doch die Geschäftigkeit und der Rummel lassen oft wenig Zeit, uns in diesen Gedanken zu vertiefen. Am Ende eines Tages fragen wir – wenn wir uns überhaupt diese Frage stellen – nicht selten: Wo war Gott heute? Wo habe ich sein Handeln in den Stunden dieses Tages gespürt?

So ist es gut, sich diese Tage zu gönnen. Ich lasse mir Zeit, um mein Leben in der Rückschau geistlich einzuholen, wo die Seele oft hinter den schnellen Schritten meiner vielen Tätigkeiten zurückgeblieben ist. Ich öffne bewusst meine Stunden, damit ich wieder mehr ahnen darf, wie sehr Gott mich liebevoll jederzeit begleitet hat. Ich mache mein Herz bereit, das Feuer der Begeisterung für seine Gegenwart neu zu entfachen.
Die Apostelgeschichte beschreibt eindrucksvoll, wie Gott Schritt für Schritt seine Jüngerinnen und Jünger zu einer Gemeinde versammelt. Besonders mit Paulus erleben wir die spannende Geschichte, wie Gott einen Menschen zu seinem Mitarbeiter erwählt und zu einem Apostel unter vielen Völkern beruft. Und Paulus ist sensibel: Er spürt, wenn während seiner Reise Gott Türen öffnet oder verschließt.
So sind wir eingeladen, mit Paulus und vielen anderen die Apostelgeschichte gleichsam weiterzuschreiben. Wie Jesus in der Synagoge von Nazaret die Schriftrolle des Jesaja aufrollte, um seine Sendung zu verkünden, so dürfen wir die Schriftrolle unserer persönlichen Heilsgeschichte aufrollen. In unserer Rolle steht schon vieles in unsichtbaren Buchstaben geschrieben, das wir in diesen Tagen entdecken möchten – und mit für uns sichtbarer Tinte nachschreiben wollen.

Erklärungen zum Erstellen einer persönlichen Schriftrolle.

2. Schritt

Bei nachfolgenden Impulsen und in den Einzelgesprächen kann danach gefragt werden, wie die Einzelnen bei der Arbeit mit der Schriftrolle zurechtkommen.
Dabei ist der Hinweis wichtig, dass es beim Beschreiben der Schriftrolle nicht einfach um eine mediale Unterstützung mittels Papier und Schreibstift geht, sondern um ein Nachspüren, welche Wege Gott mit mir geht, wie die in der Bibel beschriebene Heilsgeschichte in meinem Leben gegenwärtig und originell weitergeschrieben wird.

3. Schritt

In den Einzelgesprächen sind die TN eingeladen, ihre beschrifteten Rollen mitzubringen, um ihre Gedankengänge und „Herzens“-Gänge zu erläutern, soweit sie das wünschen. Der Begleiter der Besinnungstage ist dabei in seiner Kompetenz gefragt, die TN selbst zur Interpretation ihrer Gedanken und Einsichten zu ermutigen und durch Nachfrage anzuleiten.

4. Schritt

Im letzten Zeitraum der Besinnungstage wird es wichtig, Gedanken, Ideen oder Anmutungen zu befragen, die zunächst nebeneinander auftauchten, nach Linien, die sie verbinden.

Dabei können die Teilnehmer zunächst angeleitet werden, die einzelnen auf ihrer persönlichen Schriftrolle vermerkten Gedanken und Ideen durch bereitgestellte Aufkleber zu qualifizieren: Hier ist in mir neues Leben aufgebrochen. – Hier spürte ich Mauern und Hindernisse in mir. – Hier spürte ich, wie für mich eine Tür aufgeht. – usw.

(Dazu vgl. die Symbolbilder im Bereich Download auf dieser Website)

Dann können besonders die Elemente, die einen Lebensaufbruch bezeichnen, miteinander durch eine Linie verbunden werden. Wichtig werden die Erkenntnisse zu diesen Fragen:

  • Wozu oder worauf hin ermutigt mich Gott?
  • Wofür möchte ich besonders danken?
  • Was könnten meine nächsten Schritte sein?
  • Was kann ich besonders gut?
  • Welche Hindernisse möchte ich gerne in guter Weise umgehen oder wegräumen?
  • Was ist meine besondere Sendung, mein besonderer Auftrag für die nächste Zeit?

Einführung in die gemeinsame Schriftrolle

Eine gemeinsame Schriftrolle zu erstellen, ist nur sinnvoll, wenn sich die TN einmal am Tag, in der Regel wohl am Abend, zu einer Runde treffen. Dann können die folgenden Schritte gegangen werden.

1. Schritt am ersten Abend

Die TN sammeln sich um eine geöffnete leere Schriftrolle. In die Mitte der Schriftrolle wird das Symbol „Herz“ gelegt:
Impuls:
Zunächst eine Einführung, wie im 1. Schritt bei der Einführung in die persönliche Schriftrolle – siehe oben. Dann:
Auf der Schriftrolle geht es immer um unser Herz: um das, was uns wirklich im Inneren berührt und beschäftigt. Herz bedeutet in der Bibel: die Personmitte, aus der die Gedanken, Entscheidungen, Emotionen des Menschen hervorgehen. Das Herz ist die Kontaktstelle zwischen Gott und Mensch.
Wir sind eingeladen, zu Beginn dieser gemeinsamen Tage einander mitzuteilen – soweit das sinnvoll und gewünscht ist:
• Was bringe ich zu diesen Tagen mit?
• Was hat mich in der zurückliegenden Zeit besonders berührt, etwas, das wohl in diesen Tagen für mich weiter eine wichtige Rolle spielen wird?
• Was erhoffe ich mir von diesen Tagen?

2. Schritt in den Runden der folgenden Tage


In den Runden werden die TN zunächst eingeladen, auf die Schriftrolle zu schreiben oder in einer Zeichnung darzustellen, was sie an dem jeweiligen Tage berührt und umgetrieben hat.
Dann können die TN ihre aufgeschriebenen Elemente mit den folgenden Symbolen noch einmal eigens qualifizieren – (Dazu vgl. die Symbolbilder im Bereich Download auf dieser Website):

  • Hier spürte ich, wie andere mit Herz und Hand mir beistanden.
  • Hier spürte ich, dass Leben wächst.
  • Hier ging mir ein Licht auf.
  • Hier traten Schwierigkeiten oder Hindernisse auf.
  • Hier ging für mich eine Tür auf.

Die Beiträge der Einzelnen sollen nicht diskutiert werden. Nachfragen sind möglich. Kommentare (nicht Diskussionsbeiträge) sind zurückhaltend möglich: „Mir fällt auf …“ – „Mich beeindruckt …“ – „Ich finde es …“.

Anfrage an die Runde: Gibt es, wenn wir die Beiträge heute überblicken, etwas, was uns gemeinsam angeht, berührt?

3. Schritt in der letzten Runde der gemeinsamen Tage

Zunächst werden wie an den vorangegangenen Tagen (im 2. Schritt) die Beiträge des Tages gesammelt.
Dann werden die TN eingeladen, sich in einer Zeit der Stille einzufühlen: in den Weg der vergangenen Tagen, in den eigenen Weg und in den gemeinsamen Weg:

  • Das fällt mir auf.
  • Das fällt mir an meinem eigenen Weg durch diese Tage auf.
  • Das fällt mir an Gemeinsamkeiten auf.
  • Das wünsche ich mir für die kommende Zeit.

Nach der Stille teilen die TN einander ohne anschließende Diskussion ihre Gedanken mit.

Abschließend kann die gemeinsame Schriftrolle in einer kleinen liturgischen Feier auf den Altar gelegt werden. In einem Gebet und einem Lied können Dankbarkeit für die vergangenen Tage ausgedrückt werden sowie die Bereitschaft, Erkenntnisse und Ideen in die Tat umzusetzen.

Die Gruppe vereinbart, was mit der Schriftrolle geschehen soll.

 


Foto: Andreas Hermsdorf – pixelio.de
persönliche Schriftrolle – Foto: privat

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