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Fortsetzung und Schluss von: Wenn die Welt aus den Fugen gerät und Gottes Zwischeninstanzen und Wie Gott Covis-19 bekämpft
Der dunkle Gott
Unsere bisherigen Überlegungen haben uns gezeigt: Gott will und wirkt nicht das Leid. Doch er wirkt im Leid und mittels des Leids. Wo dieses Leid aber übergroß wird, wo es die „Falschen“ trifft, wo es sinnlos und grausam, unerträglich wird und weil es von Anfang an ein wesentlicher Teil der Schöpfung ist, da erscheint uns auch der darin wirkende Gott dunkel, unbegreiflich. Und wen es trifft, dem verdunkelt sich der Glaube, der ist angefochten, der ringt oder hadert mit Gott oder verzweifelt gar an ihm oder bezweifelt seine Existenz überhaupt. Der erfährt und bejaht – oder verweigert – eine Wahrheit seines Menschseins: Sein großartiger Geist, der so unglaublich viel zu erklären und zu verändern vermag, stößt an die Schwelle des Unverstehbaren, für das sein Gehirn und auch die künstliche Intelligenz nicht geschaffen sind. Er ist herausgefordert, die Schwelle zur Demut zu überschreiten. Einer unbegreiflichen Liebe sich überlassen.
Kein Spatz fällt „zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht!“ (Mt 10, 29ff) Übersetzt für uns heute, heißt das: Tut alles, um euch zu schützen. Aber fürchtet euch nicht vor Corona. Kein Virus kann in euch eindringen ohne euren Vater.
Doch der Vater verhindert nicht nur bei Spatzen, sondern auch bei uns Menschen nicht, dass wir tot umfallen. Aber Jesus nimmt uns die Furcht davor. Er macht den Seinen die Zusage: „Niemand wird sie meiner Hand entreißen.“ Und „niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.“ (Joh 10, 28f) Auch Paulus versichert uns auf Grund seiner eigenen vielfachen Erfahrungen: Nichts, gar nichts „kann uns scheiden von der Liebe Christi“. Doch die Ambivalenz bleibt: Gehalten von dieser Liebe sind wir doch „den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt“. Denn der liebende Vater „hat seinen eigenen Sohn nicht verschont“. (Röm 8, 32ff)
Das Paradox in auflösbar: Gott „verwundet und er verbindet, er schlägt, doch seine Hände heilen auch.“ (Hiob 5,18) Was für uns Menschen Gegensätze sind, sind – wie die zwei Seiten ein und derselben Münze – zwei gegensätzliche Erfahrung des einen Gottes, ja, ein und derselben Liebe Gottes. Gott, der „nichts kann als lieben“, liebt auch im Dunkeln, liebt als Sich-Verhüllender. Liebt anders, als Menschen lieben. Was das Denken nicht bewältigt, wo die Sprache versagt, da helfen Bilder ein Stück weiter.
hell-dunkle Bilder Gottes
Für Fridolin Stier war es das Bild der „Masken Gottes“. Gott zeigt sich mit den Masken seiner Geschöpfe. Ich male mir das aus: Auf der alemannischen Fasnacht stürmt eine gruselige Maske, die alle erschreckt, auf ein junges Mädchen los. Doch dieses erkennt hinter der Maske das in Liebe strahlende Gesicht ihres Verlobten und ist entzückt.
Pater Kentenich zitierte oft die französische Mystikerin Lucie Christine (1844 – 1908). Gott berührt den Menschen durch alles, was ihm widerfährt, mit zärtlichen Vaterhänden. Doch oft stecken sie in eisernen Handschuhen, die wehtun. Dennoch erlebt die Mystikerin in der Tiefe des Schmerzes die Berührung durch zärtlich liebende Hände.
Ebenso gibt Pater Kentenich eine Erzählung des Franz von Sales weiter: Der Chirurg und sein Kind. (Die Quelle ist mir unbekannt. Ebenso, ob es sich um eine tatsächliche Begebenheit oder ein Gleichnis handelt.) Das kleine Töchterchen eines Chirurgen gerät durch eine Blinddarmentzündung in höchste Lebensgefahr. Der Vater muss schnell handeln, hat aber keine Möglichkeit zu einer Narkose. Das Kind ist zu klein, um ihm das zu erklären. Aus Liebe tut er etwas, was für das Kind das schlimmste Trauma ist. Er schneidet seinem Kind ins lebendige Fleisch, macht ihm Todesangst und Schmerzen. Dennoch klammert es sich an den Vater.
Dass Gott sich im Dunkel verbirgt und entzieht, fasst Pater Kentenich ins Bild eines Liebesspiels. Mutter oder Vater verstecken sich, das Kind sucht nach ihnen. Der Höhepunkt des Spiels: Das Kind findet die geliebte Person, oder diese zeigt ihr Gesicht. Das Verstecken, das Suchen und das Finden ist eine Weise, wie die Liebe geweckt wird und wächst. Dieses Bild hat seine Entsprechung im biblischen Hohenlied, wo Braut und Bräutigam sich einander entziehen, sich suchen, sich finden und lieben. Ein Gleichnis für die Bundesliebe zwischen Mensch und Gott.
Das Bild aller Bilder aber ist der Gekreuzigte. Hier wird das Bild zur Realität. In Jesus, dem Gekreuzigten, in dem sich alles Leid verdichtet – Schmerzen, Folter, Unrecht, Entwürdigung, Gottverlassenheit – zeigt sich die unbegreifliche Liebe Gottes. „So sehr hat Gott die Welt geliebt ….“
Liebe Leserin, lieber Leser,
Gott ist an dieser Epidemie „nicht schuldlos“; er trägt dafür „die Letztverantwortung“. Über diesen meinen Satz „stolperte“ eine Frau, die von Taizé inspiriert ist. Sie gab mir die Worte von Frère Roger: „Gott kann nur lieben.“
Aus diesem Dialog sind die vier Corona-Artikel entstanden. Sie sind eine Gratwanderung zwischen dem Glauben an Gott in allem, der einen an Gott und seiner Liebe zweifeln lässt einerseits und einer schleichenden Verfreundlichung und Verharmlosung Gottes andererseits.
Ich gehe davon aus, dass auch Sie beim Lesen hier und da „gestolpert“ sind. Ihre Resonanz interessiert mich. Ich möchte Sie ermutigen, Ihre Gedanken hier im Anschluss als Kommentar zu schreiben.
Kurt Faulhaber