„Handeln“ – oder „Wirken“ Gottes?
Welcher der Begriffe in Anwendung auf Gott geeigneter ist, wird unterschiedlich beurteilt.
Bernhardt:
Die Rede vom „Handeln Gottes“ entspricht dem biblisch bezeugten geschichtlichen Handeln Gottes, der frei und unabhängig ist, der personal und intentional wirkt. Wie auch sonst wird hier eine menschliche Vorstellung analog auf Gott übertragen. „Handeln setzt ein körperliches Subjekt voraus, das in der Zeit und unter den Bedingungen der Zeit und seiner jeweiligen Umwelt agiert und das durch diese Bedingungen und durch die Handlungen anderer Subjekte begrenzt ist. Die Eigenschaften der Körperlichkeit, Zeitlichkeit und Begrenztheit lassen sich Gott aber nicht zuschreiben… Daher stoßen die Bemühungen um eine reflexive Durchdringung der Rede vom Handeln Gottes schnell an Grenzen… Wo die Übertragung des Handlungsbegriffs auf Gott die Skylla des Anthropomorphismus vermeiden will, gerät sie in die Charybdis der Ineffabilität. Daraus ist die Konsequenz zu ziehen, den Begriff des Handelns im Bezug auf Gott nicht als Konzept, sondern – wenn überhaupt, dann konsequent als Metapher zu verwenden. Zur konzeptuellen Erfassung der aktiven Weltzuwendung Gottes eignet sich der Begriff des Wirkens oder der Wirksamkeit Gottes wesentlich besser als der des Handelns“ (Bernhardt S. 372 und 378)
Das Bedeutungsfeld von Wirken ist „offener und anschlussfähiger für Bedeutungserweiterungen und –übertragungen… Vor allem ist der Begriff des Wirkens nicht an ein personales Subjekt gebunden, so dass ihm auch transpersonale Konnotationen beigelegt werden können.“ (S. 378)
Bei Bernhardt wird demnach „der Begriff des ‚Wirkens Gottes‘ als Konzept – und die Rede vom Handeln Gottes als dessen metaphorische Darstellung verwendet“. (S. 379) (ausführlich s. S. 372-379)
„Es kann sich bei dieser Rede nur um einen analogischen Sprachgebraucht handeln, der das unvorstellbare und unverfügbare Geist-Wirken Gottes in der Kategorialität menschlicher Handlungsvollzüge und ihrer Implikationen darstellt. Doch kann damit nicht unterstellt sein, Gottes Wirken ereigne sich realiter in diesen Kategorien. Die Rede vom Handeln Gottes ist ein gleichnishafter Ausdruck unverrechenbarer Widerfahrnisse des Heiligen. Sie läßt sich theoretisch nicht erklären und plausibilisieren, sondern nur einer Art zweiter Naivität im Modus bekennender, zeugnishafter (statt beschreibend-explikativer) Sprache zuschreiben, womit nicht unterstellt ist, sie habe keinen kognitiven Inhalt. Diese Sprache aber ist eine aus menschenweltlichen Handlungszusammenhängen >entliehene< (C. Ritschl) und im übertragenen Sinn auf Gottes Wirken angewendete.“ (S. 330)
Büchner:
„Handeln ist dabei nicht in Analogie zum handwerklichen Machen, sondern in Analogie zu einem ‚interpersonal-kommunikativen‘ Handeln zu begreifen.“ (S. 359) Dennoch ist Büchner der Begriff zu anthropomorph. Er steht in „sehr enger Beziehung zu dem des Machens“. „Handeln erscheint uns daher als etwas Objektives, empirisch Wahrnehmbares“. (S. 19) Sie verweist darauf, „dass einerseits der Begriff des Handelns Gottes nicht einfach falsch oder nur menschliche, womöglich interessengeleitete Projektion ist, dass aber andererseits bei der Rede vom Handeln doch immer auch eine solche Projektion mit hineinspielt.“ (S. 20)
Büchner bevorzugt eindeutig „Wirken“, weil dieser Begriff „sehr viel unspezifischer“ ist. „Er ermöglicht uns, ein weiteres Feld in den Blick zu bekommen. Wirkungen gehen aus von allem, was ist.“ Außerdem „ist der unspezifischere Begriff des Wirkens dem des Handelns vorzuziehen, nämlich insofern als eher eine Kontinuität zwischen dem Wirken Gottes in der Natur und seinem Wirken in der Geschichte des Menschen zulässt.“ (S. 21-22)
Über „Handeln“ und „Wirken“ Gottes hinaus gehen Peter Hundertmark/Martina Patenge im Anschluss an Ignatius: „Gott arbeitet!“:
„Hierzu soll das Konzept einer theopoietischen Seelsorge (ein Kunstwort, abgeleitet von den griechischen Worten für ‚Gott‘ und für ‚schaffen/arbeiten‘) entwickelt werden … Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet die Erfahrung: Gott ‚arbeitet‘– und dieses Arbeiten Gottes ist die Grundlage jeder menschlichen Existenz.“
„Gott wirkt gleichzeitig in die Erlebnisse, inneren Verarbeitungsvorgänge, Reifungsprozesse… in die Personwerdung und Selbstfindung des Menschen hinein. Weil Gott arbeitet, wird gelingendes Leben möglich.“„Hinweise für diese Deutung … gibt das Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola. In einer der geistlichen Übungen fordert er die Übenden auf, sie sollen ‚erwägen, wie Gott sich anstrengt und müht um meinetwillen in allen geschaffenen Dingen auf der Welt, das heißt, er verhält sich wie einer, der mühselige Arbeit verrichtet.‘“ (Ignatius von Loyola, Die Exerzitien, übertragen von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 8/1983, 236.)
„Ignatius erlebt und versteht dies so, dass Gott jeweils auf den Einzelnen und dessen Entfaltung hin arbeitet. Es geschieht nicht nur etwas für die Menschheitsgeschichte im Ganzen, sondern Gott müht sich konkret und aktuell für mich. Er müht sich für jede und jeden je individuell und zu jedem Moment des Lebens. Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes ereignen sich gleichzeitig und zu jedem Zeitpunkt der Geschichte.“
„Diese Arbeit Gottes ist existentiell, sie ereignet sich im Jetzt des Lebens, in dem ein Mensch sich um ein gutes Leben müht.“
„Gott arbeitet für jede und jeden, ob er/sie darum weiß oder nicht, damit einverstanden ist oder nicht. Für den Glaubenden birgt alles – Materie, Leben, jeder Ausdruck menschlichen Verstandes – die Möglichkeit, darin eine Spur dieses Wirkens Gottes zu entdecken.“
„Der theopoietische Ansatz setzt ganz bei der Lebensrelevanz an und verweist auf das Geheimnis Gottes, der sich in jedem Leben offenbart. Er versucht, Gottes Wirken in der Lebensgeschichte des je einzelnen Menschen aufzufinden und zu benennen und unterstützt so das Bemühen eines Menschen, sich selbst zu verstehen.“ “Geist und Leben – 2/2018„Gott, der wirklich und wirkend ist; nein, mehr: der am Werk ist und handelt.“
(J. Kentenich, in: King S. 266)
In der Pastoral am Puls bevorzugen wir das Sprechen vom Handeln Gottes (durchaus auch provozierend),
- weil es biblisch ist,
- um konkret und narrativ von Gott im Leben und in der Geschichte zu sprechen,
- um konkrete Willensäußerungen Gottes für die Pastoral an seinem Handeln abzulesen.
- Anthropomorphe Sprechweise ist auch heute möglich unter der Voraussetzung, sich des anthropomorphen Charakters bewusst zu sein. Ist nicht auch eine abstrakte Sprechweise anthropomorph – indem sie in abstrakten Denkbegriffen des Intellekts statt in sinnenhaften Begriffen der Erfahrung spricht? Kentenich setzt bei jedem Sprechen von Gott die analogia entis voraus – dass es mehr von Gott verhüllt als enthüllt. Sein Vergleich: Mit Glaubensgeheimnissen sei es so, wie wenn man durch eine enge Steinritze in unterirdische Höhlen blicke.
Literatur
Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999.
Büchner, Christine: Wie kann Gott in der Welt wirken? Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens. Freiburg / Basel / Wien 2010.
Hundertmark, Peter: Gott in allen Dingen suchen. Geistliche Übungen für das ganze Jahr. Leipzig 2001.
Kentenich, Josef: Ein Durchblick in Texten, Siebter Band: Gott des Lebens, hrsg. Von Herbert King, Vallendar-Schönstatt 2010
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