Die Welt ist Gottes voll – Schritt 5
Wir sehen in Gott nicht den, der von außen eingreift; nicht dort, wo etwas „nicht erklärbar“ erscheint.
Im Gegenteil: Es macht uns Freude, die Faktoren zu benennen und die Wege zu entdecken, durch die Gott seine Absichten geschehen ließ.
Wir bewundern die Größe Gottes darin, wie er durch die Eigengesetzlichkeit der Geschöpfe, durch Zufälle, durch die Freiheit der Menschen wirkt; in einem Organismus, in dem sich jede einzelne Aktivität auf das Ganze auswirkt. Gott handelt nicht allein, sondern mit allem. Gott handelt nicht eindimensional. Schon jedes Geschöpf wirkt vieldimensional. Gott handelt alldimensional.
Die Welt ist Gottes voll (Alfred Delp, 115)
Alfred Delp:
„Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen und werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir immer gesucht haben.“ Am 17. November 1944 auf einen Kassiber von mit gefesselten Händen geschrieben aus seiner Zelle im Gefängnis Berlin-Tegel.
Jan Twardowski, Polen, (aus: Christ in der Gegenwart Nr. 16/2017, S. 173):
Ich sehe Jesus am Ufer
er schien einfach
so einer für den Alltag
Er sagte: – Komm
Ich warte
hoffe nicht auf Wunder
zu mir geht man durchs Feuer
Bausenhart:
„Wenn Gott erfahren werden und dabei Gott sein und bleiben soll, kann er nicht als empirische Wirklichkeit erfahren werden: ‘Einen Gott, den ‚es gibt’, gibt es nicht.’ (Dietrich Bonhoeffer) Gott wohnt ‚in unzugänglichem Licht‘ (1 Tim 6,16); ‚Niemand hat Gott je gesehen‘ (Joh 1,18). Dann taugt Gott aber auch nicht als Faktor der Erklärung empirischer Vorgänge in der Welt: Den Blitz schleudert nicht Gott vom Himmel; Blitze sind zehntausende Ampere starke Funkentladungen zwischen verschieden geladenen Wolken. Wollte die Theologie sich in solchem Kontext präsentieren, dann wäre sie bereits am Ende, bevor sie tief Luft hätte holen können, um ihre Sache zu vertreten.
Hierher gehört auch die Rede vom ‚Eingreifen’ Gottes … “ (Bausenhart, Begegnung S. 25)
Eine leidenschaftliche Debatte löste in der 1970er Jahren der Jesuit Bela Weissmahr aus, als er vertrat:
„Alles, was sich in der Welt ereignet, muss auf innerweltliche, geschöpfliche Kräfte zurückgeführt werden können. Dieses Postulat ist (als positive, nicht als exklusive Forderung) nicht nur für die naturwissenschaftliche Forschung selbstverständlich, sondern für jedes Denken, das die Transzendenz Gottes ernst nimmt. Ein Wirken Gottes in der Welt ohne, und deshalb anstelle einer geschöpflichen Ursache, d.h. ein göttliches Handeln innerhalb der Welt, das nicht durch die (letztlich freilich von Gott herstammende) Eigenwirksamkeit des Geschöpfes vermittelt wäre, ist undenkbar, da dies … ein Wirken Gottes als Zweitursache bedeuten und damit aus Gott wenigstens in diesen Fällen einen innerweltlichen Faktor neben anderen innerweltlichen Faktoren machen würde.“ (Gottes Wirken in der Welt, 1973, S. 187; zitiert nach Bausenhart, Einführung S. 169)
Bausenhart: „Die göttliche Kugel auf dem Billardtisch weltlichen Geschehens mag vielleicht golden sein, aber sie wirkt auf dieselbe Weise wie die anderen bunten Kugeln, wenn sie sie anstößt und so ihre Anstöße gibt, eben ‘eingreift’.“ (Bausenhart, Einführung S. 269)
Bausenhart spricht vom Mit-Erfahren Gottes in empirischen Erfahrungen, ähnlich wie „Freiheit, Liebe, Freude, Trauer, Glück“ durch konkrete Vorgänge ausgelöst werden.
„Freude entzündet sich an einem gelungenen Geschenk; Trauer stellt sich ein über den Tod eines Freundes; glücklich bin ich über eine bestandene Prüfung. Man müsste von einer ‚vermittelten Unmittelbarkeit’ sprechen. … An empirischen Dingen können also nicht-empirische Wirklichkeiten ‚mit-erfahren’ werden …, ohne damit zu empirischen Dingen zu werden. – Könnte Gott in analoger Weise mit-erfahren werden? … als „Erfahrung mit der Erfahrung“ (Bausenhart, Begegnung S.26)
Büchner:
Schon die priesterliche Schöpfungserzählung (Gen 1,20 – 2,3) charakterisiert Gottes Wirken im Gegebensein der Schöpfung: „Gottes sich selbst gebendes Wirken im Geben und Segnen des Lebens ereignet sich … als allem in gleicher Intensität zukommende Affirmation der jeweiligen geschöpflichen Möglichkeiten, eigenständig zu leben, Gesetzmäßigkeiten herauszubilden, sich fortzupflanzen, freie Entscheidungen zu treffen – dies alles im Widerstreit der Interessen“, weil sich darin „Gottes Zusage an die Eigenständigkeit aller Geschöpfe ausdrückt, auch wenn sie zerstörerische Wege gehen.“ (Büchner S. 116)
Exkurs: Die Erst- und Zweitursachenlehre des Thomas von Aquin
Als Grundfrage stellt sich: Wie ist ein Handeln Gottes in der Welt denkbar und wie erfahrbar?
Durch die naturwissenschaftliche Welterklärung und technische Weltbeherrschung erfährt der heutige Mensch die Welt als vom Menschen gemacht.
Kentenich greift zur Beantwortung dieser Frage auf das klassische Axiom des Thomas von Aquin zurück: Deus operatur per causas secundas liberas; Gott handelt durch freie Zweitursachen. Er sieht darin die historische Leistung des Thomas von überzeitlicher Bedeutung: das Handeln Gottes verbunden zu haben mit der Eigengesetzlichkeit der Geschöpfe und der Freiheit des Menschen.
Die Theologie hat für die Art, wie Gott die Welt regiert, das Axiom geprägt: Deus operatur per causas secundas liberas. Das heißt: Gott wirkt allezeit durch und in sorgfältiger Anpassung an freitätige Zweitursachen. Danach ist und bleibt er die causa prima, der die Zügel allezeit unerschütterlich fest in allweiser, allgütiger und allmächtiger Hand hält; der mit persönlicher Freiheit ausgestattete Mensch ist bei der göttlichen Weltregierung die frei mitwirkende causa secunda. Man kann dafür auch sagen: Gott ist der absolut souverän wirkende Bau- und Werkmeister, der einen umfassenden Liebes-, Weisheits- und Allmachtsplan entworfen hat vom gesamten Weltgeschehen. Er hat es von Ewigkeit her getan. Im Laufe der Zeit sucht er diesen Plan bis in alle Einzelheiten zu verwirklichen. Dabei ist der Mensch, der freie Mensch in seiner Hand ein frei sich bewegendes Werkzeug in seins-, lebens- und wirkgemäßer Zweieinheit mit dem unendlichen, mit dem unfassbaren absoluten Bau- und Werkmeister. (Schlosser, S. 8-12 und 62-68)
Kentenich erstrebt eine gelebte „harmonische Verbindung“ beider Faktoren , indem er einerseits mit dem souveränen Wirken Gottes in allem und bis ins Einzelne rechnet, andererseits eine geradezu heilige Ehrfurcht vor der menschlichen Freiheit hat und eine originelle Freiheitspädagogik entwickelte.
Büchner:
Thomas von Aquin hat mit der theologischen Aufnahme der aristotelischen Zweitursachenlehre ein Zusammenwirken von Gott als der Erstursache, welche die geschöpfliche Eigenursächlichkeit trägt, und den geschöpflichen Zweitursachen innerhalb der Kausalitätsstrukturen der Welt für seine Zeit verstehbar gemacht. Seine Lehre machte Schule. Sämtlichen nach ihm kommenden Denkern, auch wenn sie sich vom thomanischen Denken distanzierten, diente sie als Fundament für das eigene, neu gewonnene Verständnis, und sie wird bis in die Theologie unseres Jahrhunderts hinein weitergedacht und modifiziert.“ (S. 294)
Der überragenden Bedeutung des „Deus operatur …“ bei Kentenich wie auch in der Theologie bis heute wegen soll hier näher darauf eingegangen werden.
von Stosch:
„Der Ausgangspunkt für die Überlegungen von Thomas besteht darin, in seinem Konzept zwei verschiedene Arten von Verursachung, nämlich die causa prima und die causae secundae, zu unterscheiden. Primär- bzw. Erstursache der Welt ist Thomas zufolge allein Gott. Gott ist causa prima der Schöpfung und damit nicht nur die allen einzelnen Ursachen vorangehende erste Ursache, sondern zugleich die Ursache allen Ursacheseins, die jeder einzelnen innerweltlichen Verursachung ermöglichend zugrunde liegt. Die causa prima verleiht und erhält nicht nur das Sein, sondern veranlasst als Letztziel aller (rerum omnium finis) die Geschöpfe zum eigenen Tätigsein. Gott wirkt somit bei den Tätigkeiten der Geschöpfe als ultimus finis und als primus movens mit, ist also immer als Wirk- und Zielursache präsent.
Die innerweltlichen Einzelursachen bezeichnet Thomas dagegen als Zweit- bzw. Sekundärursachen, insofern sie bleibend auf die sie im Dasein erhaltende Erstursache verwiesen sind, zugleich aber auf geschöpflicher Ebene eine eigene Wirkursächlichkeit entfalten. Die Zweitursachen sind die Ausführenden der göttlichen Vorsehung; denn es ist ‘eine größere Vollkommenheit, wenn etwas in sich gut und zugleich für anderes Ursache der Gutheit ist, als wenn es nur für sich allein gut wäre.’ Damit sind alle Geschöpfe in ihrer gesamten ontologischen Konstitution unmittelbar auf den göttlichen Grund bezogen und auch in ihrer Tätigkeit bleibend von diesem abhängig.
Bei jeder einzelnen Tätigkeit in der Welt kommt es zu einem Zusammenwirken von Erst- und Zweitursache, d.h. die einzelne Tätigkeit wird sowohl von Gott als causa prima als auch von der innerweltlichen causa secunda bewirkt. Als Wirkursachen sind Gott und Geschöpf dabei nach Thomas auf zwei verschiedenen Ebenen anzusiedeln.“ (Stosch, Gott – Macht S. 61f)„Je vollkommener und ihm ähnlicher Gott aber ein Geschöpf erschaffen hat, desto mehr Eigenstand und Eigenverantwortung komme diesem zu.“ (Stosch, Gott – Macht S. 64)
Böttigheimer:
„Der Schöpfer als die Erstursache, d. h. als der transzendente Grund aller nichtgöttlichen Wirklichkeit, wirke in allem Seienden (»Deus operatur in omni operante«g). Er stifte den vernunftlosen Dingen ihre Gesetzmäßigkeiten ein, so dass diese in der Kraft der ersten Ursache als Zweitursache wirken könnten, ohne mit Gott als der Erstursache in Konkurrenz zu treten.“
(S. 165; “Gott handelt in allem Handelnden”. Thomas v. Aquin, S.th. I, q.105 a.5.)„Denn die Erstursache wirke durch die kreatürlichen Zweitursachen, ohne ihnen ihre eigene, autonome Wirksamkeit zu nehmen. »Das Wirken Gottes in den Dingen ist also so zu verstehen, daß die Dinge selbst trotzdem ihre eigene Tätigkeit behalten.«h Noch zugespitzter formuliert Karl Rahner, dass mit dem Maß ihrer Abkünftigkeit die Dinge in ihr Eigensein freigesetzt würden: »Radikale Abhängigkeit und echte Wirklichkeit des von Gott herkünftig Seienden wachsen im gleichen und nicht im umgekehrten Maße«i. Das absolute Sein gewähre folglich allen Seienden das Sein und eigenständiges Wirken, wobei das Seiende aber in eine Seinsordnung eingebunden und auf ein letztes Ziel hingeordnet sei. Das bedeutet zum einen, dass Gott nicht direkt für das verantwortlich ist, was entgegen der Seinsordnung geschieht, und zum andern, dass selbst dort, wo sich weltliche Ereignisse vollkommen kausal erklären lassen, ein schöpferisches Wirken Gottes in Welt und Geschichte keineswegs ausgeschlossen ist.“
(165f, S.th. I,q.105 a.5.; i K. Rahner, Grundkurs des Glaubens, Sämtliche Werke, Bd 26, S 80)In diesem Sinne formuliert der amerikanische Philosoph William P. Alston (1921-2009):
“Wenn Gott durch die Anwendung natürlicher Ursachen zu mir spricht, oder mich leitet, oder erleuchtet, ist er bestimmt genauso in aktivem Kontakt mit mir, als ob er die entscheidenden Ergebnisse durch ein direktes ‚Es werde‘ (fiat) hätte geschehen lassen. […] Schließlich nutzt ein Mensch, der zu einem anderen spricht oder diesen umarmt, auch Aspekte der natürlichen Ordnung unter Anwendung physischer und psychologischer Gesetzmäßigkeiten; wir wissen nicht, wie wir es anders tun sollten.“ (168f; in: E. McMullin (HG.), Evolution and Creation, Notre Dame, Indiana, S. 213f)
„Das menschliche Wirken ist nicht schon durch das Schöpfungshandeln Gottes gegeben, sondern erst durch das göttliche Mitwirken, so dass Gott bei jedem menschlichen Tätigsein als Wirk- und Zielursache anwesend ist. ‘Die Kraft eines untergeordneten Tätigen hängt aber von der Kraft eines höheren Tätigen ab, insofern das höhere Tätige dem unteren Tätigen diese Kraft, durch die es tätig ist, verleiht oder sie erhält oder auch sie zum Tätigsein veranlaßt…’“ (184; Thomas v. Aquin, Summa contra Gentiles III, 70; )
„So ist ein bestimmter Wirkakt sowohl ganz die Tat des Menschen als auch ganz die Tat Gottes, und Gottes Allwirksamkeit darf nicht als Alleinwirksamkeit missverstanden werden. …
Wie aber kann der Mensch als frei begriffen werden, wenn seine Freiheit immer schon von der Erstursache umgriffen und in den göttlichen Plan eingebettet ist? Diese Frage »bleibt auch bei Thomas letztlich offen«49, klar ist nur, dass Gott in seinem Handeln weder die Freiheit des Menschen unterbindet, noch eine Konkurrenz zwischen göttlichem und menschlichem Handeln besteht.“ (184; P. Neuner, Vorsehung und Prädestination zum Heil, in: U. Irrgang, W. Baum (HG.), Die Wahrheit meiner Gewissheit suchen, Würzburg 2012, S. 261)
Stosch:
„Wirkt Gott vermittelt durch den Menschen, ist das Tun Gottes vom menschlichen Handeln nicht unterscheidbar. Schließlich bleibt ‘wenn Gott den Menschen zu besonderen Handlungen inspiriert, [ … ] allein der Mensch das Handlungssubjekt.’ Es ist ein und dasselbe Ereignis, das allein im vorgängigen Glauben als Wirkung göttlichen Handelns interpretiert wird. Um das Handeln Gottes in der Geschichte wahrnehmen zu können, bedarf es demnach der Augen des Glaubens. Das bedeutet jedoch nicht, dass Erfahrungen des Handelns Gottes rein subjektiver Art sind, unterliegt doch die religiöse Interpretation eines Ereignisses bestimmten theologischen, nämlich an der Offenbarung Gottes maßnehmenden Kriterien. Mit deren Hilfe kann der mit der religiösen Interpretation verbundene Anspruch intersubjektiv geltend gemacht werden.“ (187; K. v. Stosch, Gott – Macht – Geschichte, Freiburg i.Br. 2006, S. 115)
Büchner:
„Die Zweitursachenlehre dient in erster Linie dazu, die Eigenwirksamkeit des Geschöpfs trotz der Allwirksamkeit Gottes abzusichern. Die Allwirksamkeit (das Seingeben und –tragen) wird nämlich nicht als Alleinwirksamkeit verstanden.“ (S. 238)
Heutige Schwierigkeiten mit dem Modell des Thomas von Aquin
Stosch:
„Unterbestimmung der Autonomie der Geschöpfe.“: Die „Bemühung des Thomas bringt die Gefahr mit sich, dass die menschliche Wirksamkeit kaum noch anders denn als Instrumentalursache in den Blick kommt und damit in ihrer Eigenständigkeit nicht genügend gewahrt wird.“ Dem tritt Thomas dadurch entgegen, „dass er die Degradierung der Geschöpfe zu blinden Instrumenten Gottes als Beleidigung des Schöpfers geißelt. Denn: “Der Vollkommenheit der Geschöpfe etwas absprechen, heißt also, der Vollkommenheit der göttlichen Kraft etwas abzusprechen.“
Wenn Thomas auch die menschliche Willensfreiheit vertritt, kann man ihm aber doch „vorhalten, dass seine philosophische Konzeption keine Denkmöglichkeit bereitstellt, um in gleichem Maße menschliche Autonomie und Willensfreiheit auf der einen Seite, und göttliche Lenkung und Souveränität auf der anderen Seite zu konzipieren.“
(Stosch, Gott – Macht S. 64-65. Thomas v. Aquin, Summa contra Gentiles III, 69)
Im Beispiel des Thomas von den zwei Dienern findet der heutige Mensch kaum sein Freiheitsverständnis wieder: „So ist auch die Begegnung zweier Diener zufällig, von ihnen aus gesehen; vom Herrn jedoch, der sie wissentlich so an denselben Ort schickt, daß keiner vom anderen weiß, ist sie vorgesehen“. (Stosch, Gott – Macht. bei: Thomas v. Aquin, STh I, 22,1 ad 1.)
Kessler:
„Zumindest heute ist die thomanische Terminologie von causa principalis (Hauptursache) und causa instrumentalis (Instrumentalursache) überhaupt missverständlich. Weil sie nämlich die Ebene des Personalen und der Interaktion in Freiheit terminologisch nicht erreicht, kann sie das Zu- und Miteinander von befreiender Freiheit Gottes und (zu einer bestimmten Art von Handeln) befreiter Freiheit des Menschen – jedenfalls für heutiges Verständnis – kaum noch zum Ausdruck bringen. Für dieses Zu- und Miteinander gilt: je mehr sich der Mensch Gott übereignet und in die Abhängigkeit von Gott begibt, desto freier und eigenständiger wird er. Eine entfernte Analogie dazu stellt das zwischenmenschliche Verhältnis der einander freimachenden Liebe dar; hier kann etwas Ähnliches erfahren werden, so dass der eine sich aus der Abhängigkeit vom anderen gar nicht emanzipieren möchte, weil er in ihr frei und ganz er selbst sein kann.“ (S. 294f, A 53)
Erweiterungen des klassischen Ursachenmodells
Stosch meint zwei Richtungen in der Theologie wahrzunehmen, die das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Handeln neu zu bestimmen suchen:
- darstellendes Handeln Gottes: Gottes Handeln wird durch einen menschlichen Akteur dargestellt in dem Sinne, „dass er sein Handeln als Darstellung bzw. symbolische Realisierung des göttlichen Handelns auffasst“. (Gott –Macht S. 171) Gottes „Grundintention befreiender Liebe“ gewinnt Gestalt durch das Handeln des Menschen. (S. 116) Dabei ermöglicht „die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, dass das Dargestellte im darstellenden Handeln wirklich präsent ist.“ (S. 171)
Hierbei „kann man von einer strikten Identität göttlichen und menschlichen Handelns sprechen“ und es „bleibt die Autonomie des geschöpflichen Handelns … gewahrt“. - dialogisches Handeln Gottes: „Die menschliche Handlung ist in diesem Fall Antwort auf den göttlichen Aufweis neuer Lebensmöglichkeiten. Menschliche und göttliche Handlung sind nicht identisch, aber aufeinander bezogen und stehen in einem dialogischen Verhältnis zueinander.“
Das darstellende Handeln ist „durch Gottes Selbstaussage im Logos vermittelt“, während das dialogische Handeln „durch Gottes Selbstaussage im Geist realisiert wird.“ (Stosch, Gott – Macht, S. 88)
Geschichtsbezogen
Böttigheimer (Wie handelt Gott, 187 ff.):
„Ein geschichtliches Handeln Gottes, das durch den Menschen vermittelt ist, ist dort anzunehmen, wo sich der Mensch in seinem Tun auf Gott hin öffnet, er also nicht in sich selbst verhaftet ist und auf seine begrenzten Möglichkeiten beschränkt bleibt. ‘Hier geht es [ … ] nicht mehr nur um ein Wirken der geschöpflich-menschlichen Akteure aus eigener Initiative und Kraft und im Rahmen eigener kreatürlicher Möglichkeiten (um die durch die Erstursache ermöglichte Eigenaktivität der ‘Zweitursachen’. Hier geht es darüber hinaus darum, dass die menschlichen Akteure, sich Gott frei überantwortend, durch Gottes (der causa principalis oder Hauptursache) Urheberschaft und Kraft in ihrem Eigenwirken nun als ‘Instrumentalursache'(causa instrumentalis) zu einer Wirkung erhoben werden, welche ihre eigenen Fähigkeiten übersteigt und doch ihre eigene Wirkung ist.’ (zit. H. Kessler, Den verborgenen Gott suchen, Paderborn 2006, 100) Allein die Unterscheidung von causa prima und causae secundae reicht also nicht aus, um die Geschichtsbezogenheit und Wirkmacht Gottes angemessen denken zu können. Vielmehr ist auch von einer Interaktion Gottes mit dem Menschen auszugehen, bei der sich der Mensch von Gottes Geist und Liebe ergriffen weiß und sich ganz bewusst in den Dienst des göttlichen Willens stellen lässt. »Es lassen sich [ … ] gewichtige Gründe dafür ins Feld führen, [ … ] von einem Handeln oder Wirken Gottes auf instrumentaler Ebene zu sprechen, bei dem dieser mit dem freien Subjekt so interagiert, dass dieses zur Umsetzung von Gottes Grundintention befreiender Anerkennung und Würdigung befähigt wird.«( zit. Stosch, Gott – Macht – Geschichte, Freiburg i.Br. 2006, 171)
Hermeneutik des Sich-Gebens
Mit der im vorangehenden Abschnitt von Böttigheimer vorgetragenen erweiterten Sicht von „Ursächlichkeit“ befasst sich auch Büchner in ihrer durchgängigen Hermeneutik des Sich-Gebens:
„Aufgrund der Initiative des Sich Gebenden wird der Empfangende selbst zum Gebenden. Genau das ist der Inhalt dessen, was Gott in Menschen wirken kann, über sein Wirken in allem Seienden und als Erhalter der Naturkausalitäten hinaus. Es ist die Verwirklichung interpersonaler Verursachung, die ihre Wirkkraft aus Zuwendung zum anderen gewinnt.
Insofern dieses Wirken über die Natur hinausgeht, wird es von Thomas … als Gnade benannt. Jedoch wirkt gerade die Gnade ausschließlich mit den Menschen. Die Gnade verfügt ebenso wenig über die Menschen, wie sie über sich verfügen lässt. Dass Menschen einander geben können und darin das göttliche (erstursächliche) Teilgeben selbst und eigenverantwortlich weitergeben können, ist eine Wirkung dieser Gnade. Thomas gebraucht für dieses Gnadenwirken Gottes im Menschen häufig die Metapher der Freundschaft…
Gerade mit der Metapher der Freundschaft verlässt Thomas den engen Rahmen eines aristotelischen Ursache-Wirkung-Denkens und macht die Komplexität eines gebenden Zusammenwirkens zwischen Gott und Schöpfung bewusst.
Neben der kosmischen (allem Sein gebenden) und der besonderen (den Menschen zum Geben befähigenden) Wirkweise spricht Thomas von Aquin noch von einer dritten Wirkweise Gottes in der Welt. Es ist die Weise von Gottes Wirken in Jesus Christus. Sie geschieht ‚per unionem‘.a.477 Hier ist ein Mensch vollkommenes instrumentum geworden, indem er im Vertrauen auf die teilgebende Zuwendung Gottes so wenig auf sich selbst beharrt hat, dass er ganz für andere da sein und zur Verkörperung dieser Zuwendung werden konnte: ‚instrumentum verbi Dei sibi personaliter uniti‘478 / ‚Werkzeug des Wortes Gottes, das mit ihm personal vereint ist‘.…
In den Worten einer Hermeneutik des Sich-Gebens gesagt: Das Christusereignis offenbart Hingabe für das Wohl des anderen (mit dem Ziel der Teilgabe am Eigenen) als den Kern des geschöpflichen Seins. Thomas nennt diesen Vorgang participatiob. Diese bestimmt und erhellt zugleich die Weise der göttlichen gubernatioc: Sie geschieht als Teilhaben-Lassen; denn sie kann nicht anders zu ihrem Ziel führen als nur dadurch, dass sie die Schöpfung durch die eigene Vor-Gabe, welche in ihrem Kern Selbstteilgabe ist, befähigt, sich selbst diese Selbstteilgabe als konkretes Ziel zu eigen zu machen.“ (S. 240-242; 477 vgl. S.th I, 8, 3 ad 4; Sth III, 1-15; 478 Sth III, 13, 1)
Doppelte Täterschaft
Die Theorie der „doppelten Täterschaft“ (double agency, nach Austin Farrer, s. auch Schritt 16.2) übernimmt die Erst- und Zweitursachentheorie des Thomas von Aquin, „transformiert aber dessen Überlegungen in eine personale, vom Freiheitsdenken geprägte Terminologie“. (Stosch, Gott – Macht, S. 30, A 23.)
In dieser personalistischen Transformation thomistischen Denkens geht es darum, „eine Kooperation zwischen zwei Handelnden zu skizzieren, bei der nicht der eine Handelnde den anderen als Werkzeug benutzt, sondern beide frei miteinander zusammenwirken.“ Die „Strategie besteht darin, die beiden Handlungssubjekte auf unterschiedlichen Ebenen zu verorten, um dadurch dem Eindruck eines Konkurrenzverhältnisses von vornherein jeden Ansatzpunkt zu nehmen.“ (Stosch, Gott – Macht, S. 30)
Dabei ist Gott als Handlungssubjekt der bleibende und tragende Grund des menschlichen Subjektes. Gottes Handeln wird nicht als wirkursächliche Vermittlung gedacht, „sondern von Gott her als Inanspruchnahme des menschlichen Willens und Handelns durch Inspiration und vom Menschen her als Vertrauen und Verpflichtung auf diese, von Gott her sich ereignende ‚creative purposive action‘“. (Bernhardt S. 340)
Transzendentale Gott-Welt-Relation
Um die Beziehung von göttlicher und menschlicher Freiheit zueinander näher zu bestimmen, hat Karl Rahner über Thomas hinausgedacht.
Er besteht „auf der innerweltlichen Erklärbarkeit aller Ereignisse… Denn ‘Gott kann als unsagbare unumgreifbare Voraussetzung, als Grund und Abgrund, als unsagbares Geheimnis in seiner Welt nicht antreffbar sein’.“ (Stosch, Gott – Macht S. 67; Rahner, Grundkurs des Glaubens S. 89)
Gott ist der „transzendentale Grund menschlicher Existenz und Freiheit“. (Böttigheimer S. 187. Mehr zu Rahners Verständnis einer transzendentalen Relation von Erst- und Zweitursachen: Böttigheimer S. 185-187. Bernhardt S. 386-392; Stosch, Gott – Macht, S. 66-76)
Als transzendentaler Grund aller Existenz und allen Wirkens ist er der, „der nicht unmittelbar Ereignisse, Prozesse und Zustände hervorbringt, sondern Sinn und Richtung in Ereigniszusammenhängen stiftet“. (Bernhardt S. 392)
Dass dieser transzendente Grund im Menschen nicht eine Spekulation ist, sondern durchaus erfahrbar, zeigen folgende Worte Rahners: Gott ist als Seinsfülle „einerseits dem Endlichen, nach seiner Vollendung hin sich bewegenden Seienden so innerlich zu denken, daß dieses Innerliche zu einer wirklichen aktiven Selbsttranszendenz ermächtigt wird und es diese neue Wirklichkeit nicht einfach nur als von Gott gewirkte passiv empfängt. Andererseits ist die innerste Kraft der Selbsttranszendenz gleichzeitig so von diesem endlichen Wirkenden unterschieden zu denken, daß die Kraft der Dynamik, die dem endlichen Seienden innerlich ist, doch nicht als Wesenskonstitutiv des Endlichen aufgefaßt werden darf.“ (Grundkurs des Glaubens S. 186)
Gottes Wirken und seine Gegenwart wird zwar konkret „im menschlichen Wort, im Sakrament, in einer Kirche, in einer Offenbarung, in einer Schrift usw.“, wobei sie aber „wesenhaft nichts anderes sein kann als der kategoriale Verweis auf die transzendente Gegenwart Gottes.“ (Rahner, Grundkurs des Glaubens S. 92 f.
Stosch gesteht Rahner zwar zu, „ein Einfallstor für eine Rede von einem besonderen Wirken Gottes offenzulassen, das wirklich diesen Namen verdient“ (Gott – Macht S. 71) und Rahner biete zwar „durch eine transzendentale Transformation der Rede von Gott als causa prima einen Anknüpfungspunkt, der es der Theologie erlaubt, angesichts von jedem innerweltlichen Ereignis die Rede von Gottes Wirken ins Spiel zu bringen“ (Stosch, Gott – Macht S. 68), allerdings …
Büchner:
„Allerdings bleibt dieses Modell recht formal“ und damit schwierig für die Pastoral. Es fehlt die „Bestimmung eines konkreten Wie und Worin göttlich transzendentalen Wirkens“, was „eine zusätzliche inhaltliche Präzisierung verlangt“. (Büchner S. 351 – 352)
Büchner verweist auf ihr Modell des Sich-Gebens: „Dass ein Geber Geschöpfe frei und als sie selbst sein lässt, heißt zugleich, dass er sich in eine Leben gebende existentielle Beziehung zu ihnen setzt, mit der er unbedingt zu dem Gegebenen steht. Indem der absolute Geber das Sein der Geschaffenen so unbedingt will, macht er sie … auch empfänglich für sich selbst, für das, was er ihnen mitteilt, seine liebende Bewegung des Sich-Gebens. Das Gegebensein von allem schließt also dessen inhaltliche Bestimmung zum Sich-Geben ein. Dass Geschöpfe sind, indem sie sich einander als Gegebene offenbaren, gibt ihnen die Möglichkeit, einander in Interaktion zur Gabe zu werden.“ (S.352)
Dynamisch, vernetzt, prozesshaft
Um Zweitursachen nicht statisch, sondern in Prozessen zu denken, ist die Strukturontologie von Heinrich Rombach hilfreich (1923 – 2004, Philosoph, Freiburg und Würzburg)
„Rombach denkt Wirklichkeit als dynamische Struktur, weil in ihr die einzelnen Entitäten keine für sich stehenden festen Größen sind, sondern Momente, die sich innerhalb dieses Beziehungsgefüges konstituieren … Was die Wirklichkeit dieser Struktur ausmacht, ist nichts Festes, sondern Vernetzung und Prozessualität.“ „Rombach veranschaulicht diesen Seinsprozess mit dem Bild eines multidimensionalen Netzes, innerhalb dessen in jedem Funktionsmoment die ‚Allheit der Momente‘ gegenwärtig ist, insofern jedes Moment von allen anderen variablen Momenten dieses Netzes abhängig ist.“
„Daraus leiten sich folgende Kennzeichen der Wirklichkeit ab:
Erstens: Jedes einzelne Moment ist wichtig und entscheidend …, da jedes Moment alle anderen Momente beeinflusst und umgekehrt alle anderen Momente das einzelne Moment beeinflussen.
Zweitens: Es ergeben sich … ständig neue und unerwartete Perspektiven der Wirklichkeit von jedem ihrer sich ständig verändernden Momente aus. (Es gibt nicht die Wirklichkeit. Daher ist auch die Bestimmung eindeutiger Kausalitäten nicht möglich.)
Drittens: Die zeitliche Dynamik gibt jedem Einzelnen die Möglichkeit, sich im Prozess zu finden und zu erproben.“ (Büchner S. 310)
Finalursächlich
John Cobb (Prozesstheologie) vertritt nach Bernhardt:
„Von Kausalität könne nicht mehr im Sinne notwendig vorausgehender Bedingungen …, die regelmäßig bestimmte Ereignisse (Effekte) nach sich ziehen, gesprochen werden. Gegenüber einem solchen deterministischen Verständnis, das alle Effekte aus vorangegangenen Konditionen ableiten will, gilt es nach Cobb, a) die Kategorie des ‘Novum’ als Movens und damit das Moment der finalen Kausalität wieder zur Geltung zu bringen und b) Kausativität in diesem Sinne als reale Einflussnahme auf Genese und Entwicklung von Geschehnissen zu verstehen.“ (Bernhardt S. 398)
Repäsentationsmodell (s. Schritt 25.4.)
Literatur:
Böttigheimer, Christoph: Wie handelt Gott in der Welt? Reflexionen im Spannungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft. Freiburg / Basel / Wien 2013
Bausenhart, Guido: Einführung in die Theologie. Freiburg / Basel / Wien 2010
Bausenhart, Guido: Von der Begegnung mit Gott: Materialheft GPS. Freiburg 2017
Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999
Büchner, Christine: Wie kann Gott in der Welt wirken? Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens. Freiburg / Basel / Wien 2010
Delp, Alfred: Kämpfer. Beter. Zeuge. Letzte Briefe. Beiträge von Freunden. Freiburg / Basel / Wien 1962, 115
Kessler, Hans: Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Würzburg 1995
McMullin, Eman (HG.): Evolution and Creation, Notre Dame, Indiana 1985
Rahner, Karl, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg / Basel / Wien 1985
Schlosser, Herta, Autorität und Freiheit in schöpferischer Spannung, Vallendar 1993
von Stosch, Klaus: Gott – Macht – Geschichte. Versuch einer theodizeesensiblen Rede vom Handeln Gottes in der Welt. Freiburg / Basel / Wien 2006
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