„Würfelt“ Gott? (1) – Schritt 7
Gott – oder Zufall? Unvereinbare Gegensätze?
Zunehmend werden Zufälle als wichtige Faktoren vieler Prozesse gesehen, beispielsweise in der Evolution, von der Quanten- und Chaostheorie (2), im alltäglichen Leben.
„Zufälle“, die einen Planeten mit Leben und den Menschen hervorbrachten? Ist danach der Mensch ein Zufallsprodukt?
„Zufälle“, wenn sich zunächst zusammenhangs- und sinnlos scheinende Vorkommnisse im Leben von Menschen im Rückblick zu sinngerichteten Schicksalen fügen?
Wenn dabei tatsächlich Zufälle mitwirkten, dann hat Gott den Zufall in seine Schöpfung eingebaut. Dann wirkt Gott im Zusammenspiel von Determination und Zufall, von Notwendigkeit und Freiheit, und seine Weisheit umfasst spielerisch beides (vgl. Weish 7,22-27; Weish 8,1; Spr 8,22-30). Dann will sich Gott im Spiel der Geschöpfe und in seinem Zusammenspiel mit ihnen selbst „überraschen-lassen“ (3).
zu 1:
Das Bild vom würfelnden Gott ist eine Anspielung auf das – inzwischen widerlegte – Wort Albert Einsteins: Gott würfelt nicht.
zu 2:
Stosch: Die „zumindest im 19. Jahrhundert noch fraglos dominierende Deutung der Natur als geschlossenes, durch das immanente Prinzip der wirkkausalen Notwendigkeit gesteuertes System“, innerhalb dessen man – würde man alle Gesetzmäßigkeiten der Natur erfassen – „alles scheinbar Zufällige und scheinbar durch menschliche und göttliche Freiheit Bestimmte exakt vorauszusagen“ vermöchte, und die „jedes besondere Eingreifen Gottes in der Welt auszuschließen scheint“ (Gott – Macht S. 123), wurde durch die „Indeterminiertheit der Quantentheorie“ in Frage gestellt. (S. 125; vgl. 136)
„Die Tatsache, dass eine Reihe von Naturwissenschaftlern und naturwissenschaftlich halb gebildeten Menschen dennoch an der durchgängigen und unverbrüchlichen Geltung des Kausalitätsprinzips festhalten, könnte man deshalb mit einigem Recht mit L. Wittgenstein als den Aberglauben unserer Zeit ansehen.“ ( S. 136f)
Aus diesen Erkenntnissen lässt sich kein Handeln Gottes in der Schöpfung ableiten. Aber ein solches Handeln lässt sich nicht mehr mit dem Argument der Determiniertheit bestreiten. Und es „besteht hinsichtlich der Autonomie und Freiheit menschlichen Denkens und Handelns … keinerlei Einschränkung.“ ( S. 136. Ich würde vorsichtiger sagen: keine prinzipielle Einschränkung.)
Die Chaostheorie besagt, dass in gewissen Systemen dramatische Veränderungen eintreten können, die nicht vorhersehbar sind. Dies ist verursacht durch die nicht prognostizierbare „sensitive Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen“, die unerwartete Folgen haben können. Sie werden auch auch butterfly effect genannt: der Flügelschlag eines Schmetterlings kann auf der anderen Seite des Erdballs einen Tornado auslösen.
Die Chaosforschung hält allerdings an der prinzipiellen Determination fest, auch wenn die eintretenden Wirkungen nicht vorhersehbar sind; die Vorhersagbarkeit realer komplexer Systeme scheitert an praktisch nie vollkommen exakten Messungen der Anfangsbedingungen.
In Frage gestellt wird diese These durch den Vergleich mit der Quantentheorie, derzufolge das Verhalten von Systemen prinzipiell nicht determiniert ist. So besagt die Heisenbergsche Unschärferelation, dass Ort und Impuls eines Objektes nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind; diese Einschränkung bezieht sich nicht auf Unzulänglichkeiten des Beobachtungsvorgangs (z.B. ungenaue Messung), sondern ist prinzipieller Natur.
Das bedeutet, dass reale Systeme prinzipiell nicht im klassischen Sinn deterministisch sein können im Gegensatz zu den sie beschreibenden mathematischen Modellen.
Eine kurzschlüssige Interpretation, dass Gott die nicht determinierten Teilchen lenkt oder durch unbemerkte kleine Veränderung der Anfangsbedingungen die von ihm gewollten großen Wirkungen hervorbringt, ist abzulehnen.
Aber ebenso bezweifelbar ist die nicht beweisbare Annahme eines geschlossenen Determinismus. „Insofern ist der Hinweis auf die Deutungsoffenheit physikalischer Wirklichkeit und auf die auch naturwissenschaftlich begründbare Offenheit des Universums ein wichtiger Grund zur Plausibilisierung der Erhärtung der Rede von einem Handeln Gottes im Dialog mit den Naturwissenschaften“. (Stosch, Gott – Geschichte, S. 149)
Kögerler: Mit Zufall ist allerdings kein blinder Zufall gemeint, sondern prinzipielle Nicht-Vorhersagbarkeit. „Wir können nur die Wahrscheinlichkeitsverteilung der erhaltenen (möglichen) Messresultate registrieren. Diese Wahrscheinlichkeit aber … ist vollständig bestimmt und kann mit Hilfe der Quantentheorie präzise vorhergesagt werden. Der Zufall, der hier auftritt, ist zwar ein echter, aber dennoch kein ‚blinder‘ oder völlig ‚gesetzloser‘, er ist – auf einer höheren Ebene der Beschreibung – eingefangen von einer streng kausalen Gesetzmäßigkeit (nämlich für die Wahrscheinlichkeiten).“ (zitiert von Böttigheimer S. 57. Siehe R. Kögerler, Evolution, S. 234)
zu 3:
Kentenich: Wir müssen „den lebendigen Gott erblicken, der die gestaltenden Faktoren der Persönlichkeit und Geschichte bestimmt, fügt und ordnet. Er tut es mit spielender Leichtigkeit, mit souveräner Freiheit und Freigebigkeit, er gebraucht, ordnet und mischt sie, wie der gewandte Spieler die Karten. So spricht das Buch der Weisheit von der künstlerischen Schöpfertätigkeit und vom Ergötzen Gottes : »Ich war ihm (Gott) zur Seite als vertraute Freundin und diente zur Ergötzung Tag für Tag und spielte vor ihm jederzeit – und spielte drunten in der Welt, und diente zur Ergötzung den Menschenkindern(3).«“ (Spr 8, 30f) (Oktoberbrief 1949, S. 33-34)
Hans F. Fuhs (*1942. kath. Prof. em. AT) zum Begriff „Spiel“ im Buch der Sprichwörter: „Spiel vermag zur Realität auf Distanz zu gehen und sie zugleich zu verwandeln. Spiel heißt ungesichert mit Möglichkeiten umzugehen und mit offenen Fragen zu leben, nicht gleich in allem einen letzten Sinn entdecken zu müssen, die Freiheit zu haben, den Zwang eines geschlossenen Welt- und Lebensordnungssystems zu widerstehen.“ (Hans F. Fuhs, Sprichwörter, S. 68)
Bernhardt: „In der Metaphorik des Spiels erscheint die Schöpfung als ‚Spiel Gottes, ein Spiel seiner grundlosen und unergründlichen Weisheit.‘“ (Moltmann. s. Bernhardt S. 376)
„Dieser Ansatz knüpft an die naturphilosophischen Implikationen aktueller naturwissenschaftlicher (vor allem system- und chaostheoretischer) Modellbildungen an, denn er erlaubt, Zufall und Notwendigkeit, Spontaneität und Regelhaftigkeit widerspruchsfrei zusammen zu denken.“ (S. 376)
Im Spiel ist das Motiv göttlicher Wirksamkeit sein Wohlgefallen an der Schöpfung, seine Freude an seinen Geschöpfen. Als Spiel ist Gottes Handeln nicht notwendig, aber sinnvoll. Sein Sinn ist die „Verherrlichung Gottes, in der Gott sich zusammen mit seiner Schöpfung zu höchster Schönheit aufschwingt.“ (S. 378)
In dieser Sicht findet die Freiheit – sowohl Gottes als auch des Menschen – größten Spielraum. „Innerhalb fester Spielregeln herrscht freie Kreativität“. (S. 377)
Der menschliche Spielpartner hat für Gott zur Folge, dass sich „Spielzüge immer wieder Gottes Kontrolle entziehen und er sie in diesem Sinne ‚verliert‘.“ (Bernhardt S. 376)
„Wie jede Metaphorik so ist auch diese missverständlich: Würde der ‚Deus ludens‘ einseitig als (Mit-)Spieler im Zusammenspiel der Schöpfung verstanden, dann wäre der qualitative Unterschied zu den geschöpflichen Teilnehmern am Spiel verwischt. Vielmehr muss er immer auch als transzendentaler Möglichkeitsgrund – und als solcher als Garant der Regelwerke – wie auch als eschatologischer Zielgrund des Spiels aufgefasst werden.“ (S. 377)
Es ist interessant, wie populär Kentenich diese Metapher veranschaulicht und wie er diesem möglichen Missverständnis begegnet. Das Bild vom Spiel spielt in seiner Spiritualität seit Milwaukee eine zunehmende Rolle.
„Das Leben, ja die ganze Heilsordnung, Heilsgeschichte eine göttliche Komödie.
Mich dünkt, vom theologischen Standpunkte aus müssten wir hier klar hervorheben: der Begriff ‚göttliche Komödie‘ schließt einen dreifachen Inhalt in sich. Wir bleiben wieder stehen bei dem Ausdrucke: Komödie gleich Spiel.
Bei dem Theaterspiele, bei dem Spiel, das über die Bühne geht – mein Leben geht ja auch über die Bühne – dann fragt man gemeiniglich nach dem Dichter. … Wer hat den Plan des Dramas entworfen? Wer hat also das Drama gemacht?…
Es ist klar, wenn es sich um ein Drama handelt, das über die Bühne geht, dann erkundigt man sich sehr gerne nach dem Hauptspieler. Und wo es sich um die Verteilung der Rollen handelt, geht es vor allem um die Frage: Wer ist wohl fähig, die Hauptrolle zu spielen? Und wer ist in unserem Drama … der Hauptspieler vom Anfang bis zum Ende? Der ewige Vatergott selber!
Also nicht nur der Entwurf, der Plan stammt von ihm. Nein, er ist und bleibt bis zum Ende der Zeiten, ja die ganze Ewigkeit hindurch der Hauptspieler.
Was das von mir verlangt? …die Liebe zu diesem Hauptspieler müsste an sich letzten Endes der Sinn unseres ganzen Lebens bleiben. Das ist die Kindesliebe dem Vater gegenüber …
Und worin besteht die Aufgabe? Den Hauptspieler im Drama meines Lebens mit der ganzen Liebe zu umgreifen und zu umfangen.
Noch einmal: was heißt das – göttliche Komödie? Sicher, wir wissen, dass diese göttliche Komödie bis zu einem gewissen Grade auch eine menschliche Komödie ist, dass also nicht nur Gott spielt als Hauptspieler, sondern dass ich mit zu spielen habe. Aber die Rolle, die ich mitzuspielen habe, ist immer eine Nebenrolle. Und dabei muss ich mir sogar noch zugestehen : die kann ich nicht einmal alleine sielen; die kann ich nur spielen, wenn der Hauptspieler jede einzelne Nebenrolle mitspielt.“
(Exerzitien 1966 in Würzburg. S. 293 – 295)
Literatur:
Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999.
Böttigheimer, Christoph: Wie handelt Gott in der Welt? Reflexionen im Spannungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft. Freiburg / Basel / Wien 2013.
Fuhs, Hans F., Sprichwörter (Die neue Echter-Bibel: Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung Lfg. 35), Würzburg 2001.
Kentenich, Josef: Oktoberbrief 1949. Vallendar-Schönstatt 1970.
Kentenich, Josef, Exerzitien für den Verband der Schönstattpriester in Würzburg, 21.-25.11.1966.
Kögerler, R: Evolution – Blinder Zufall oder Intelligent Design?, in: Theologisch-Praktische Quartalschrift 154(2006), 227-239).
von Stosch, Klaus: Gott – Macht – Geschichte. Versuch einer theodizeesensiblen Rede vom Handeln Gottes in der Welt. Freiburg / Basel / Wien 2006.
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