Freiheit (1) – Schritt 9
Der Ruf nach Freiheit gehört zu den stärksten Zeitenstimmen Gottes. Sie will deshalb überall geachtet und gestärkt werden.
Selbst die den Menschen unbedingt verpflichtenden Gebote Gottes appellieren an die menschliche Freiheit. Im Buch Deuteronomium fordert der Gesetzgeber Mose das Volk auf: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben!“ (Dtn 30,19)
Wer den Willen Gottes als einengendes Muss versteht, hat ein diktatorisches Gottesbild. Kentenich spricht von den „Wünschen“ Gottes, gern von den „leisen und leisteten“, die sich an den Menschen als freien Bundespartner wenden. (2) Hier geht es nicht ums Müssen, erst recht nicht um Sünde, sondern um ein Mehr an Liebe, um „dem Vater Freude zu machen“, nach dem Beispiel Jesu, der von sich sagt, er tue immer das, was dem Vater gefällt. (vgl. Joh 8,29).
zu 1:
Als Alternative zum „kausalen Modell“, das Gott als Erstursache des Handelns des Menschen und diesen als „Werkzeug“ Gottes begreift, in diesem Bild aber seine Freiheit nicht in den Blick nimmt, (vgl. Schritt 5.5) besteht die Grundidee des personalen Modells „darin, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als dialogisches Freiheitsverhältnis zu bestimmen, in dem Gott allein mit den Mitteln der Liebe versucht, die Liebe des Menschen zu gewinnen. Letztes Ziel der Schöpfung und Fokus des Handelns Gottes ist in der Perspektive dieses Modells Gottes Absicht, Mitliebende zu gewinnen.“ (Stosch, Gott – Macht, S. 23)
von Stosch: „Das Mysterium schlechthin, der ursprungslose Ursprung allen Seins, kann in der endlichen Welt nach dem christlichen Glauben nur „in der Gestalt der Selbsterniedrigung“ (nach J. Wohlmuth, Trinität, 49) erscheinen, weil anders ein gegenseitige Liebe ermöglichendes Freiheitsverhältnis zwischen Gott und Geschöpf unmöglich wäre.“ (von Stosch, Gott – Macht S. 355)
„Kierkegaard illustriert diesen Gedanken durch eine Reflexion auf die Frage, wie ein König die Liebe eines armen Mädchens gewinnen kann (Sören Kierkegaard, Philosophische Brocken, S. 27-33) … Doch trotz dieser Machtfülle und trotz der Bereitschaft des Mädchens gibt es für den König … keine Möglichkeit, die Liebe des armen Mädchens zu gewinnen. Denn die Liebe des Mädchens kann er nur gewinnen, wenn er sich auf die gleiche Ebene mit ihm begibt… (Sonst) können weder er noch das Mädchen sicher sein, ob es wirklich ihn liebt oder nicht nur vom Glanz der neu gewonnenen Möglichkeiten geblendet ist. Die einzige Möglichkeit, seine Liebe zu gewinnen, ist die, Knecht zu werden und so an (fehlender) Machtfülle ganz und gar ihm gleich zu sein.
Diese Notwendigkeit besteht – so die Überlegung Kierkegaards – in gleicher Weise für Gott in seiner schlechthin grundlosen und unableitbaren Liebe zum Menschen. Wenn Gott unsere Liebe gewinnen will, muss er ein Mensch werden, Knechtsgestalt annehmen und auf alle Machtfülle verzichten.“ (ebd., 356 f.)
„Schelling denkt Kenose hier tatsächlich als Ent-äußerung: Sie kehrt nach außen, was nicht in Gott verschlossen bleiben kann; und so eröffnet sie die Möglichkeit eines ‚Herzens-Verhältnisses‘.“ (ebd., 357, Anm. 110) „Gottes Schwach-‘Werden‘ eröffnet den Menschen die Möglichkeit einer ‚persönlichen‘ Beziehung zu ihm, da es ihm Gottes ‚Innerstes‘ erschließt.“ ( ebd., 357, nach Jürgen. Werbick, Anm. 110) „Denn Gott will nichts als die Liebe des Menschen und ist bereit, dafür alle Auswirkungen der von ihm umworbenen Freiheit auf sich zu nehmen und den Menschen also nur mit den Mitteln der Liebe für sich zu gewinnen.“ (ebd., 357)
Greshake versteht sogar alles Geschehen als „Ergebnis des Wechselspiels, des Dialogs, der sich zwischen Gott und dem Geschöpf abspielt“. (Greshake, Geschenkte Freiheit, 93, bei: Stosch, Gott – Macht, Anm. 224, S. 87)
Bausenhart legt dar, „dass Gottes Handeln am Menschen diese Freiheit nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern erst eigentlich zur Entfaltung bringt; noch mehr: dass Gottes Handeln am Menschen und des Menschen Menschsein in einem proportionalen, nicht konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen: Je mehr der Mensch sich in Freiheit dem Handeln Gottes an ihm öffnet und aussetzt, desto handlungsfähiger wird der Mensch –in der der dies alles ermöglichenden Kraft Gottes …: als einer, der sich in Freiheit Gott öffnet und ihn im eigenen Handeln handeln lässt.“ (Bausenhart, Einführung, 274 f.)
Stosch: „Der Höchstvollzug menschlicher Autonomie ist gerade in seiner Autonomie noch einmal von Gott gewollt und getragen.“ Nach Rahner „gewinnt der Mensch seine wahre Freiheit und Autonomie gerade dann, wenn er Gott in und um sich Raum gibt bzw. wenn er sich in seiner Gewinnung von Raum als von Gott getragen weiß.“ (Stosch, Gott – Macht, 27)
zu 2:
Prozesstheologie: „Gottes Einflussnahme auf die Geschöpfe geschieht dabei durch liebevolles Überzeugen und Locken.“ (Enxing, 366-367)
„In einem prozessualen Universum erscheint … Gott nicht als souveräner Despot, sondern als beziehungsreiche Liebe.“ (Faber, 180)
Er ist „kein weltabgewandtes, starres Gegenüber, sondern ein lebendiges, liebendes Wesen, das im Netzwerk der Beziehungen alle Entitäten interagiert.“ (Enxing, 366)
Bernhardt: Gottes Wirken ereignet sich nicht im Modus „absoluter Herrschaft“, sondern kann sich „nur als kommunikatives Freiheitsgeschehen vollziehen“, als „freie interpersonale Einflußnahme durch Motivieren, Überzeugen, Zu-Reden, Aufklären, Erleuchten, Begeistern, Vorstellen erstrebenswerter Leitbilder usw.“ (S. 453)
Stosch schreibt, „dass die Besonderheit der Freiheit Jesu darin besteht, dass er sich im Laufe seines Lebens ganz und gar dazu bestimmt hat, seine Freiheit vom Willen des Vaters her füllen zu lassen und auf diesem hin zu leben, … Gottes Willen als den eigenen mitzuwollen und dafür da zu sein, dass dieser gute Wille geschehen kann“, … „den göttlichen Willen zu empfangen und zu kennen. Oder anders gesagt: Er ist der väterliche Wille im Modus des Empfangenseins …“ (S. 361, bezieht sich auf: Schmidbauer, Gottes Handeln, 165)
Zur Freiheit gehört, dass der Mensch Gottes Wirken stören, ja zerstören kann.
Kentenich: „Gott ist es. Er ist es allein, der den brennenden Dornbusch großer Persönlichkeiten anzündet. Er steht hinter der schöpferischen Resultante, die in ihnen wirksam ist. Sie sind ein besonderes Gottesgeschenk an die Menschheit. Es kann erbeten, es kann verscherzt und abgelehnt werden: immer aber bleibt es ein freies Geschenk des Himmels an die Erde. Wehe der Zeit, die sich ihrer unwürdig macht, die ihre Propheten steinigt oder nicht hören will, die ihre Schuhe nicht auszieht und sich nicht ehrfürchtig beugt vor ihrer Größe und ihrer Sendung!“ (Oktoberbrief 49, S. 35-36)
Literatur:
Bausenhart, Guido: Von der Begegnung mit Gott: Materialheft GPS. Freiburg 2017.
Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999.
Böttigheimer, Christoph: Wie handelt Gott in der Welt? Reflexionen im Spannungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft. Freiburg / Basel / Wien 2013.
Büchner, Christine: Wie kann Gott in der Welt wirken? Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens. Freiburg / Basel / Wien 2010.
Enxing, Julia: Anything flows. Das dynamische Gottesbild der Prozesstheologie. In: Herder Korrespondenz 68, Heft 7 2014, 366-370.
Faber, Roland: Prozesstheologie. In: Barwasser, Carsten (Hrsg.): Theologien der Gegenwart. Eine Einführung. Darmstadt 2006, 179–197.
Greshake, Gisbert, Geschenkte Freiheit, Freiburg/Basel/Wien 1992.
Kentenich, Josef: Oktoberbrief 1949. Vallendar-Schönstatt 1970.
King, Herbert, Gott des Lebens (Joseph Kentenich – Ein Durchblick in Texten, Nr. 7), Vallendar-Schönstatt 2010.
Schmidbaur, Hans Christian: Gottes Handeln in Welt und Geschichte. Eine trinitarische Theologie der Vorsehung. St. Ottilien 2003.
von Stosch, Klaus: Gott – Macht – Geschichte. Versuch einer theodizeesensiblen Rede vom Handeln Gottes in der Welt. Freiburg / Basel / Wien 2006.
Werbick, Jürgen: Schulderfahrung und Bußsakrament. Mainz 1985.
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