16 Vertiefungstexte – Gott mit uns

Zwischen zwei Händen entsteht eine elektrische Brücke

16 Gott mit uns (1) – Schritt 16

Die Verkündigung des Evangeliums wird zusammengefasst und an das Markus-Evangelium angefügt: „Sie verkündeten überall. Und der Herr wirkte mit (συνεργουντος – synerguntos) und festigte das Wort durch die darauffolgenden Zeichen.“ (Mk 16,20) Das Evangelium bezeichnet die Erfahrungen dieses Zusammenwirkens mit dem Wort „Synergie“.

In der Apostelgeschichte werden die „Taten“ und die „Praxis“ der Apostel beschrieben als das, „was Gott mit ihnen zusammen getan hat.” Von Gemeinde zu Gemeinde berichten sie das alles. (Apg 14,27 und 15, 4)

Wenn Gott in uns und durch uns handelt, ist sein und unser Handeln nicht voneinander zu trennen. (2) Denn, so Paulus: „Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt“ (Phil, 2,13). (3)

zu 1:

Jürgen Werbick: „Gott handelt, wo sein Heils-Wille geschieht – durch und an Menschen, die sein Geist ergreift und zu Töchtern und Söhnen des göttlichen Vaters, zu Schwestern und Brüdern des ‚Sohnes‘ gemacht hat, der in und aus dem Geist des Immanuel war, der Gott mit uns, Gottes Heilshandeln in Person. Das heißt …, dass er – in der Geschichte und die Geschichte vollendend – an Menschen und nicht ohne sie handelt; er ist am Werk in seinem Heiligen Geist, der die Menschen dazu bewegt und inspiriert, seinen Willen geschehen zu lassen.“ (bei Stosch, Gott – Macht, S. 116)

zu 2:

Büchner: „… dann sind der Akt des Menschen und der Akt Gottes Pole ein und desselben Geschehens“. (S. 364)
Ein Mensch, „der gemeinsam mit Gott Kurs nimmt“, erfährt sich als Beschenkter und Handelnder zugleich: „er tut etwas, das nicht von ihm selbst kommt, und doch tut er es; was er tut, ist zugleich für ihn selbst Geschenk. Daher sprechen wir von solchen Erfahrungen auch in Wendungen des Gebens, etwa: Es hat sich mir etwas gegeben; es hat sich mir eine Lösung gezeigt; ich hatte eine Eingebung. Die Erfahrung der Passivität schlägt im selben Augenblick in Aktivität um, indem sie empfangend erfahren wird. (S. 365)
So „kann sich die Realisierung dieser Passivität im Empfangen und Geben als die eigentliche Aktivität zeigen. Ein concursus zu einer gemeinsam getragenen Aktivität kommt also gerade dann zustande, wenn jeder von zwei Polen dem anderen zu seiner Aktivität verhilft.“ (S. 365)

Klaus Hemmerle: So ist „Gottes Weg zu uns … unser Weg zu ihm und unser Weg zueinander und miteinander.“ (Büchner S. 367)

Der “concursus divinus” in der zeitgenössischen “Divine-Action“-Debatte als „double agency“
(vgl. Schritt 5 “Doppelte Täterschaft”)

Das Zusammenwirken (concursus divinus) von Gott und Mensch/Geschöpf darf nicht so gedacht werden,
dass die Handlung zwischen Gott und Mensch aufgeteilt wird und beide Seiten einen Teil der Handlung hervorbringen, und beide Teile addieren sich – wie wenn ein Starker und ein Schwacher zusammen ein Glockenseil ziehen.
Das Wort „Synergie“ in Mk 16,20 bezeugt die Erfahrung des Mitwirkens Gottes, beschreibt nicht das Wie des Zusammenwirkens.
Das Handeln Gottes mit uns muss gedacht werden als Handeln Gottes durch uns. Salomo hat den Tempel gebaut. Er hat es aber durch Architekten und Bauarbeiter getan. Allerdings bleibt auch dieser Vergleich immer noch im Bereich der Arbeitsteilung.
Das Dass des Zusammenwirkens ist keine Frage, umso mehr das Wie.

Als einer der bedeutendsten Neuentwürfe gilt die Theorie der „double-agency“ (doppelte Handlungsweise) des anglikanischen Theologen Austin Farrer (1904 – 1968, Oxford). Sie besagt, dass menschliche Tätigkeiten ganz die unsrigen, aber genauso Gottes Werk sind, wenn auch perfekt verborgen.
Farrer geht nicht von Gott als dem Verursacher allen Geschehens aus, sondern – philosophisch unter dem Einfluss Kants – von der menschlichen Glaubenserfahrung. Ein Glaubender hat in seinem Handeln mächtig die Kraft Gottes erfahren. So wie Paulus, der von sich bekennt: Gottes „Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht – nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir.“ (1 Kor 15, 10) Die Erfahrung, die Wirkung ist eine ungeteilt einzige; sie ist zugleich die Erfahrung des eigenen Mühens wie der Gnade Gottes. Die Wirkung wird im Rückblick dem Handeln Gottes zugeschrieben. Auch der Konnex Ursache – Wirkung ist ein nachträgliches Denkmodell.
Wie geschieht die Zuschreibung? Das Beispiel Farrers: Jemand sieht erstmals ein Bild und sagt sofort: Das ist ein Rembrandt. Obwohl er nichts über die Herstellung des Bildes durch Rembrandt weiß. Aus der Kenntnis anderer Bilder Rembrandts kann er sofort dieses Bild Rembrandt zuschreiben. „Im Blick auf die Rede von Handlungen Gottes bedeutet das: Die Zuschreibung solcher Handlungen vollzieht sich in der Deutung der eigenen Erfahrung im Licht der paradigmatischen Akte Gottes, wie sie ihm in der biblischen Überlieferung und der >story< der Christenheit zugeschrieben worden sind.“ (Bernhardt S. 338)

Da Gottes Handeln „nicht auf der empirisch-wahrnehmbaren Oberfläche der Wirklichkeit“ angesiedelt ist, bleibt es „der unmittelbaren Sinneswahrnehmung entzogen“. Der „link“ (causal joint) zwischen dem göttlichen und geschöpflichen Bereich besteht, ist aber nach Farrer „prinzipiell unerkennbar und unbestimmbar“. (Bernhardt S. 338)

Das sehr konkrete Sprechen der Pastoral am Puls vom Handeln Gottes hier und heute hat also immer den Charakter der Zuschreibung. Greifbar ist immer nur die geschöpfliche Seite. Dies ist auch bei den Kriterien (s. 21) zu beachten.

Das heißt aber nicht, dass die Zuschreibung eine Projektion ist oder dass sich das göttliche Wirken nur im „Bereich des Geistigen, des Bewusstseinsmäßigen und Existentiellen“ abspielt. „God makes the world make itself“ (Vgl. Bernhardt S. 345) „Gott macht keine Dinge, sondern er macht, dass die Dinge sich machen.“ (Teilhard de Chardin) Gott handelt im „Gemenge der Weltkräfte“. Farrer spricht von der „mind-body-Analogie“. Wie „die zerebrale Steuerung und das vegetative Nervensystem physiologisch mit dem Herzen des Menschen zusammenwirken, so daß ein Herzschlag entsteht“ (Bernhardt S. 339), so wirkt Gott mit den nichtmenschlichen Faktoren zusammen. Beim Menschen aber wirkt Gott mit dessen freien Willen zusammen. Die Initiative geht von Gott aus, er regt den Willen des Menschen an, sich dem göttlichen Willen zu assoziieren – in Analogie zu zwischenmenschlichen Interaktionen, bei denen eine Person die andere für etwas zu gewinnen sucht. Auch hier wird das Ursachenmodell gesprengt: „Die kommunikative Interaktion zwischen Gott und Mensch ereignet sich also nicht durch wirkursächliche Vermittlung – wie beim Ineinandergreifen zweier Zahnräder -, sondern von Gott her als Inanspruchnahme des menschlichen Willens und Handelns durch Inspiration und vom Menschen her als Vertrauen und Verpflichtung“. (Bernhardt S. 340)

„Der concursus ist also als personal-interaktive Submission, als Orientierungs-, Sendungs-, Führungs- oder Leitungshandeln zu denken… Die geschöpflichen Agentien können sich dieser Submission entziehen und verweigern.“ (Bernhardt S. 340) „Das Sinnlose, Chaotische und Böse wird weder Gottes aktiver Hervorbringung, noch seiner passiven Zulassung, sondern seiner nicht-zwingen-wollenden Geduld zuzuschreiben“ sein. (Bernhardt S. 344) (zum Ganzen der double-agency-Analogie: Bernhardt S. 334 -349)

zu 3:

Kentenich vertritt – im Unterschied zum traditionell vorherrschenden Verständnis – einen aktiven Vorsehungsglauben.
„Wir müssen immer Gottestätigkeit mit Eigentätigkeit verbinden“. (Vorträge 1963. King S. 344)

„Gottes Wille, drum vorwärts! Denn Gott zeigt ja auch durch die Verhältnisse einen Plan, hat ein Ziel. Der will, dass ich mitwirke, mitarbeite.“
Vorträge 1963. King S. 348

(King zum folgenden Text: „Kentenich ist sich bewusst und er lehrt es auch seit frühester Zeit, dass ‚Weibliches‘ und ‚Männliches auch in dem jeweils anderen Geschlecht eine Rolle spielen und sich in unterschiedlicher Intensität darstellen können.“)
„Es ist wohl zu beachten, dass Schönstatts Auffassung vom Vorsehungsglauben … außergewöhnlich ausgeprägten aktiv-männlichen Charakter aufweist. Es lässt sich ja durch die Zeichen der Zeit als durch Stimmen Gottes allezeit klar bestimmte Aufgaben zeigen. Es kennt deshalb nicht nur eine passiv-weibliche Fiat-Gesinnung, sondern auch eine aktiv-vorwärtsdrängende schöpferisch gestaltende Volo-Haltung. Es ist weit davon entfernt, den Kindern dieser Welt ohne weiteres einen Lebensbereich nach dem anderen in eigener Regie zu überlassen. Es versucht vielmehr selbst – freilich immer orientiert an Gottes Wunsch und Willen – kraftvoll in das Räderwerk von Welt und Kirche einzugreifen. Es beschränkt sich nicht darauf, immer nur Ja zu sagen.“ (Studie 1964. King S. 340f)

Bernhardt: operative Intimität Gottes

Bernhardt spricht von „der allgegenwärtigen Immanenz bei bleibender Transzendenz des Wirkens“ und von „unmittelbarer operativer Intimität Gottes“ im Anschluss an J. Moltmann. Dieser „betont das In-Sein der Schöpfung im Kraftfeld des Gottesgeistes. Diese pneumatologisch vermittelte Beziehung zwischen Schöpfung und Schöpfer sei ungleich enger als die zwischen Tat und Täter oder zwischen Werk zum Meister. Die Schöpfung ist Gottes innerliches, nicht sein äußerliches Werk.“ (Bernhardt S. 403 und A 253.)

 

 


Literatur:

Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999
Büchner,
Christine: Wie kann Gott in der Welt wirken? Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens. Freiburg / Basel / Wien 2010
King, Herbert, Gott des Lebens (Joseph Kentenich – Ein Durchblick in Texten, Nr. 7), Vallendar-Schönstatt 2010
von Stosch, Klaus: Gott – Macht – Geschichte. Versuch einer theodizeesensiblen Rede vom Handeln Gottes in der Welt. Freiburg / Basel / Wien 2006


Foto: pixabay.com

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