18 Vertiefungstexte – Zielgerichtet

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18 Zielgerichtet – Schitt 18

Wer sich Schritt um Schritt durch geöffnete Türen führen lässt, wird unumgänglich fragen: Gott, was hast du vor? Aus der Richtung des Weges lässt sich erkennen, wohin der Weg führen könnte. So zeigen sich uns Ziele oder zumindest Teilziele. (1)
Wir orientieren unsere Ziele an Gottes Zielen und handeln zielgerichtet in der Spur des Handelns Gottes.(2) Das ist kein Durchmarsch auf einer Zielgeraden. Gott wirkt durch Geschichte, die viele Wege kennt. Er wirkt auch durch menschliche Um- und Irrwege hindurch – ob es echte oder nur vermeintliche sind.(3) Mit einer Vision im Herzen verfolgen wir unsere Ziele in den Prozessen der Zeit und der Seelen. (4)

zu 1:

Kentenich: „… immer in einer gewissen Antizipation dessen, was am Kommen ist – haben wir kraft des Vorsehungsglaubens uns immer Ziele stecken lassen. Was sagt der liebe Gott? Was kündet er mir durch die oder jene Verhältnisse? Der will das, was er kündet, nun von mir als Lebensziel betrachtet wissen. (Vortrag in Oberkirch 1967. King S. 337)

Anfangs ist es „schwer, die Fäden, die Gott uns in die Hand gab, richtig zu sehen und zu deuten… Schlichter Vorsehungsglaube, der hinter allen, auch den kleinsten Geschehnissen, Hand, Wunsch und Willen des Vatergottes entdeckt, bringt es mit der Zeit bei liebender Wachheit fertig, aus den Fäden der Einzelführungen das Netz der geheimen göttlichen Gesamtplanung zusammenzufügen, sich an dieser Erkenntnis zu freuen und an seiner Verwirklichung unentwegt wagemutig zu arbeiten.“ (Schlüssel. King S. 502)

zu 2:

Kentenich bekennt sich zur „theistischen schöpferischen Geschichtsauffassung“ (Oktoberbrief 1949 S. 17). Im sog. Oktoberbrief 1949, legt er diese ausführlich und eindrucksvoll dar. Er distanziert sich von Aktivisten wie von Passivisten.

„Die Aktivisten sind geschichtslos. Ihre Ahnenreihe beginnt mit ihnen selbst…. Sie sehen in der Weltgeschichte kein Ineinander, keine organische Entfaltung einer großen einheitlichen Gottesidee, sondern nur ein mechanisches Nacheinander ohne inneren Zusammenhang.“ (S. 18) Er zitiert Nietzsche: »Wir brauchen die Historie zum Leben und zur Tat, nicht zur bequemen Abkehr vom Leben und der Tat oder gar zur Beschönigung des selbstsüchtigen Lebens und der feigen, schlechten Tat.« (S. 18) Die Aktivisten befragen „bei ihren Zukunftsplänen nicht das Gestern und Vorgestern…“ (S. 18) „Im Gegenteil: sie schneiden absichtlich alle Fäden dieser Art ab. Sie schnitzen sich willkürlich ein Zukunftsbild nach den Bedürfnissen ihres Herzens, nach den Traumbildern einer ungezügelten Phantasie und den Konstruktionen eines irregeleiteten Verstandes. Sie orientieren sich unentwegt am Echo ihrer eigenen sinnlosen und sinnwidrigen Träume, die sie hinausschreien in das Chaos der heutigen Zeit, um den Widerhall aufzufangen und als Beruhigungspille für sich und als Propagandamittel für die Massen zu benutzen… Sie tun es mit Ausnutzung zusammengeballter ungeahnter technischer Hilfsmittel und berückend ausgeklügelter Agitations- und Propagandakunst.“ (S. 18-19)

„Die Passivisten sind die genußsüchtigen Schmarotzer oder unverbindlichen Literaten der Weltgeschichte. Sie lassen sich widerstandslos von ihren Wogen treiben. Sie haben weder Mut noch Kraft, ihren Lauf zu beeinflussen. Gedankenlos leben sie in den Tag hinein, bald lachend, bald weinend, wie es die Verhältnisse mit sich bringen.“ Sie „begreifen … nicht Gottes Sprache in der Zeit und weichen einer eindeutig klaren und verpflichtenden Antwort aus.“ (S. 19-20)

Vertreter der „theistischen schöpferischen Geschichtsauffassung“ lesen in der Geschichte „wie in einem überaus inhalts- und lehrreichen Lese- und Lebensbuch Gottes.“ (S. 18) Nach dieser Geschichtsauffassung „ist die Weltgeschichte einem großen Strom zu vergleichen, dessen Quelle und Mündung im Herzen Gottes liegt, dessen Ebbe und Flut, dessen Bett, Richtung und Ziel von Gott nach einem weisen Plan geordnet und gelenkt wird, so daß seine Wogen und Wellen sich nicht mechanisch nacheinander drängen, sondern innerlich miteinander verbunden sind, einander fördern und fordern, einander bedingen und folgern wie Ursache und Wirkung. Das Heute ist aus dem Gestern geboren und trägt das Morgen in seinem fruchtbaren Schoße. Im Heute lebt beides gleichzeitig, wenn auch in verschiedener Weise: Vergangenheit und Zukunft. Die Vergangenheit in ihren Auswirkungen – entweder als …Brodeln und Branden sich widerstreitender Kräfte, die noch nicht zur Ruhe gekommen sind, oder als …abgeklärtes Maß und ruhige und beruhigende Ordnung; die Zukunft als entwicklungsfähiger Keim wie Frucht und Blüte im Samen. Wie das Heute den Sinn des Gestern und Ehegestern erfüllt, so gibt es dem Morgen und Übermorgen Richtung, Zielgestalt und Reichtum. Das Heute als Erkenntnisquelle für Gottes Wunsch und Wille ob des Morgen ist in der Schätzung des Heilandes so bedeutungsvoll, daß er ihre dauernde Benutzung von seiner Gefolgschaft schlechthin voraussetzt und mangelnden Geschichtssinn und verkümmerte Deutungskunst des Lebens vorwurfsvoll mit der Bemerkung erledigt: Die Zeichen am Himmel wißt ihr zu deuten, nicht aber die Zeichen der Zeit.“ (S. 21-22)

Über eine „geschichtsschöpferische Persönlichkeit“ (in diesem Fall Vinzenz Pallotti) sagt Kentenich: „Er hat kraftvoll ins Räderwerk der Zeit eingegriffen, hat sie inspiriert und umgestaltet, so daß seine Wirksamkeit erkennbare Spuren zurückgelassen hat. Er saß am Webstuhl der Zeit wie ein gewandter Weber und hat vielverzweigte Fäden unzerstörbar in sie hineingewoben. Er war … nicht bloß Handlanger und Baustein, sondern Architekt und Baumeister am künftigen Gesellschaftsbau.“ (S. 31)

Gebet Kentenichs: „Laß uns in deinem Lichte den Weg verfolgen, den wir zurückgelegt; laß uns vorwärtsschauen, um die Pfade zu erblicken, die du uns künftig führen willst… (S. 26)

zu 3:

Kentenich: „Ewige Weisheit weiß die Wege so zu wählen, dass ich letzten Endes das Ziel erreiche, das Gott von Ewigkeit für mich vorgesehen hat. Auch Kreuz und Leid und Misserfolg jeglicher Art, selbst Sünde und Schande in meinem Leben.“
(1962. King S. 102)

„Gott ist ein Gott des Lebens… Wo er brechen und zerbrechen, wo er untergehen, wo er sterben läßt, da will er neues Leben schaffen… So muß das Saatkorn erst sterben. Es muß untergehen, dann bringt es viele Frucht. Legen wir diesen Maßstab an die heutige Zeit an, lassen wir die furchtbaren Trümmer, die schrecklichen Verheerungen auf uns wirken, die uns allenthalben in der physischen, in der moralischen, in der geistigen Ordnung begegnen, so möchten wir den Atem anhalten. … Es muß eine herrliche neue Welt sein, die er aus diesem gewaltigen Sterben erstehen lassen, es muß eine wundersame Ordnung sein, die er aus den Katastrophen und Ruinen neu gestalten will…“ (Studie 1949. King S. 241f)

Ein viel zitiertes Beispiel von H.-E. Hengstenberg:
„Ein Kind legt grünes Futter in kleinen Blättchen in den Sand, in den ein Käfer, den Futterblättchen nacheilend, eine bestimmte Linie einprägt. Der Käfer erkennt nicht die dahinterstehende höhere Sinngebung, die er mit seiner Bewegung ausführt. Er ernährt sich genau so, als ob er keiner Führung unterstehen würde, und dennoch nimmt in seinem Kriechen und Krabbeln der Gedanke des Kindes Gestalt an.“ (zitiert von Bernhardt S. 392)
Dieses Beispiel will deutlich machen, dass Gott transzendental wirkt, nicht als Glied einer innerweltlichen Ursachenkette. Dass er seine Ziele verwirklicht, ohne dabei die Eigentätigkeit des Menschen einzuschränken. Positiv formuliert: Gott wirkt so, dass der Mensch zugleich sich selbst verwirklicht in Autonomie und Freiheit.
Im pastoralen Kontext kann das Gleichnis veranschaulichen, wie wir im Rückblick auf unseren gegangenen Weg Muster und Zielrichtungen erkennen, die uns nicht in unserem Tun geleitet hatten, in denen sich uns aber die Absichten Gottes zeigen.

zu 4:

Kentenich: „Wer schöpferisch mitformen und mitweben will am Bild und Gewebe der Zukunft, muß den Wahlspruch in sein Wappen aufnehmen: Vox temporis vox Dei (Zeitenstimme ist Gottes Stimme). Er muß überzeugt sein, daß die Weltgeschichte einem großen Strom vergleichbar ist. Das Heute ist aus dem Gestern geboren und trägt das Morgen in seinem Schoße. Gott ist es, der uns durch das Heute seine Pläne für das Morgen und Übermorgen – allerdings nur langsam und stückweise – entschleiert. Er ist es, der über allem steht: er regiert die Welt, auch wenn es den Anschein hat, als kümmere er sich nicht mehr um sie, als sei sie seinen Fingern entglitten und in andere, mächtigere, Hände übergegangen.
Er schreitet gleichzeitig als der Herr der Geschichte einher: Hier im Säuseln des Windes, dort im Brausen des Sturmes; hier über den Trümmern einer untergehenden, dort über dem Morgengrauen einer neuen Welt. Kraftvoll und siegreich hält er die Zügel in der Hand. Niemand kann sie ihm entreißen.“ (Studie 1949. King S. 257 d.)

Diese Deutekunst „lehrt allen Geschehnissen auf den Grund zu sehen, um die schöpferischen und zerstörenden Kräfte im Weltgeschehen zu entdecken, bloßzulegen und aus ihrer Art und Richtung Gottes Wunsch und Willen für das Morgen richtig zu deuten. Sie gibt Mut und Kraft, sich mit den Aufbaukräften zu verbinden und die Zerstörungsmächte zu bekämpfen und so schöpferisch in die Geschichte einzugreifen.“ (Oktoberbrief 1949, S. 21-22)

Für Bernhardt ist die „messianische Dimension“ „konstitutiv“. Der „Glaube an die wirksame Präsenz Gottes in der Welt“ ist ausgerichtet auf den „Vollendungszustand“, „der als sein-sollender … und sein-werdender … von Gott >vorgesehen< ist.“ Dies „setzt eminent kritische Impulse gegenüber Weltverhältnissen frei, die diese Zielrichtung verfehlen, weil anders ausgerichtete Intentionen und Interessenlagen in ihnen bestimmend waren bzw. sind.“ (S. 464)

Mit der „besonders von J.B. Metz und J. Moltmann hervorgehobenen messianischen Dimension … gilt es …, Tendenzen in den großen Volkskirchen entgegenzutreten, nicht mehr zuerst nach der Verwirklichung des Reiches Gottes zu fragen, sondern vor allem >im Dienst jener Bürger, die in der Religion vor allem Trost, Hilfe zur Anpassung, Bewältigung von Krisen, Stabilität und Geborgenheit suchen> religiöse Bedürfnisse zu befriedigen.“ (Zitat von Vorgrimler. S. 465) „Das Vertrauen auf Gottes Vorsehung und die aktive Partizipation an ihrer Antizipation hilft nicht nur dazu, Leben in allen seinen Dimensionen anzunehmen (die affirmative Funktion, die auch die Klage über geschehenes Unheil einschließt). Es provoziert auch, individuelle und kollektive Denk- und Verhaltensformen aufzubrechen und über sich hinauszuführen (die prophetisch-kritische Funktion).“ (S. 465)


Literatur:

Bernhardt, Reinhold: Was heißt „Handeln Gottes“? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung. Gütersloh 1999.
Kentenich, Josef: Oktoberbrief 1949. Vallendar-Schönstatt 1970.
King, Herbert, Gott des Lebens (Joseph Kentenich – Ein Durchblick in Texten, Nr. 7), Vallendar-Schönstatt 2010.

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